Der Film vor dem Film

Fast mochte ich die Augenblicke lieber, die nach seiner Arbeit kamen: die Momente, in denen die Ouvertüre ausklingt und das eigentliche Schauspiel beginnt, wo man aufwacht aus einen köstlichen Traum und sogleich eintaucht in einen zweiten, erst recht köstlichen.

Mein Auftaktsatz ist gleich doppelt ungerecht, denn der gestern verstorbene Wayne Fitzgerald kannte die erste Einstellung natürlich, die auf seine Vorspanne folgten - und überlegte sich genau, wie diese Übergänge wirken würden. Zuweilen sind sie sanft, wie in »Bettgeflüster«, wo uns das muntere Titellied von Doris Day bereits eingestimmt hat auf eine letztlich unverfängliche Erotik und wir nun sehen, wie sie in der ersten Szene die Nylonstrümpfe auf ihren Beinen, die wirklich sehr lang sind, glattstreicht. Manchmal vollziehen sie einen Stilbruch, wie in »Bonnie und Clyde«, wo uns die Bilder und Töne weitgehend schwarzweiß in die 1930er Jahre zurückversetzen und wir nun der lasziv gelangweilten Faye Dunaway in Farbe zusehen, wie sie vor dem Spiegel ihren Lippenstift aufträgt. Zuweilen mündet dieser Zwischenmoment in eine Metapher, wie in »Die Reifeprüfung«, wo wir Dustin Hoffmans Ankunft am Flughafen gesehen haben und ihn nun durch das Aquarium seines Jugendzimmers betrachten. Es kann auch fließend übergehen, wie in Coppolas »Der Dialog«, wo der Clown, den die Kamera scheinbar absichtslos fixierte, nun Gene Hackman folgt und dieser von seiner Zudringlichkeit genervt ist. Der Übergang kann auch ganz brüsk sein, wie in »Chinatown«, wo uns der Sepiaton der Vorspanntitel und die Musik von Jerry Goldsmith romantisch stimmen und wir dann mit einem Portfolio anschaulicher Schwarzweißfotos von einem Ehebruch in eine schäbige Wirklichkeit katapultiert werden und aus dem Off das Jammern des Betrogenen hören. Bisweilen löst sich plötzlich auch ein Rätsel, wie in Cronenbergs »Die Fliege« wo man erst denkt, die amorphen Farbgebilde seien schwebende DNS, sich dann aber als eine Menschenmenge entpuppen.

Der 1930 in Los Angeles geborene Fitzgerald war ein Meister der Creditsequenz. Er fing in der richtigen Epoche an, den 1950er Jahren, als die Filmvorspanne plötzlich doppelt so lang wurden, weil die Gewerkschaften durchsetzten, dass mehr Berufe in ihnen genannt wurden. Sie mussten nun interessanter, kurzweiliger oder auch provozierender werden; letzteres war die Domäne seines Zeitgenossen Saul Bass. Fitzgerald war damals bei der Firma Pacific Title angestellt, die große Studios wie MGM, Universal und Warner Brothers quasi als Monopolist versorgte. Das könnte man - das klingt wieder ungerecht, ist aber wertfrei gemeint - Fitzgeralds naive Phase nennen. Für das Musical »Seidenstrümpfe« gestaltete er einen Auftakt, in dem pastellfarbene Flächen wie exquisite Stoffballen entrollt werden, was prächtig zu diesem »Ninotschka«-Remake passte. Auch der Vorspann zu »Auntie Mame« ist abstrakt in seiner flotten Farbidkeit, jeder Titel scheint durch ein Kaleidoskop zu purzeln. Bei »Bettgeflüster« nimmt Fitzgerald die ulkige Splitscreen-Ästhetik vorweg; das Telefon, dass Day und Rock Hudson aneinander gekettet, ist ebenfalls präsent.

Die Vorspanne sind meist graphisch gestaltet, die Typographie ist oft einfallsreich. Ich glaube, er brauchte eine Weile, bis er die Möglichkeiten des Reaflfilms entdeckte. Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen: Er hat über 450 Credits gemacht, da hat man nicht alle in Erinnerung. Aber der Vorspann zu »Die Reifeprüfung« war ein wirklicher Durchbruch, mit seinem auf Hoffman fixierten Blick, der auf einem Rollband im Flughafen fährt und nur ein Drittel der Leinwand einnimmt. Das Spiel mit der Leere gibt er erst nach anderthalb Minuten auf, als eine Hand dessen Koffer ergreift. Bei »Rosemarys Baby« kopiert Fitzgerald pinkfarbene Titel auf einen ausholenden Panoramaschwenk über New York, was wunderbar irritierend korrespondiert mit dem Kinderlied, das Komeda für seinen Landsmann Polanski komponiert hat. Aufsehen erregte zu dieser Zeit vor allem »Bonnie und Clyde«, die Kombination schwarzweißer Fotos der Depressionszeit mit den Titeln, zu denen anfangs nur das Klicken eines Kameraauslösers zu hören ist.

Damit wurde er zum prägenden Vorspanngestalter des New Hollywood. Pablo Ferros Arbeiten für »Bullitt« und »Thomas Crown ist nicht zu fassen« mochten damals technisch avancierter wirken und haben sich ihren modischen Reiz erhalten. Aber Fitzgerald war auf diskretere Weise modern; sein zweiter großer Rivale auf dem Feld, Dan Perri, trat erst 1972 auf den Plan. Dabei wurde Fitzgerald oft für historische Stoffe engagiert. Die Rolltitel-Nostalgie von »Chinatown« ist indes gebrochen, allein schon, weil sie sich dem Breitwandformat anverwandeln muss. Ich mag auch den Vorspann zu Billy Wilders »Extrablatt« gern, der ebenfalls in den 1930ern spielt und akribisch vor Augen führt, wie damals eine Zeitung entstand, von den Lettern aus Blei über die Rotationsmaschine bis zur Auslieferung des Blattes. Die Abspanntitel waren einflussreich: Das Nachleben der Figuren zu erzählen, ist bis heute nicht aus der Mode gekommen. Unvergesslich sind auch seine End-Credits für »Apocalypse Now«.

Neben seiner Kinoarbeit war Fitzgerald oft fürs Fernsehen tätig, auf sein Konto gehen beispielsweise die ersten, glorreichen »Columbo«-Staffeln. Er war enorm vielseitig, kein Register war ihm fremd. Er hat mit guten und schlechten Regisseuren gearbeitet. Das bleibt nicht aus in über 50 Berufsjahren. Seine Vorspanne waren nicht beliebig, sondern bereits Filme mit ihrer eigenen Logik, wenngleich nicht aus eigenem Recht. Sie waren komponiert, folgten einer Idee, formulierten ein Prinzip, das vorbereitete auf das, was danach kommen sollte. Zum letzten Mal gestaltete er 2003 einen Kinovorspann, für Ron Sheltons hübsch zerstreuten »Hollywood Homicide«; viel zu lange her. Aber seine Kunst war damals schon fast  obsolet. Heute müssen Hollywoodfilme in der Regel ohne Vorspann auskommen. Die von Wayne Fitzgerald jedoch waren unverzichtbar.

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