Vor den Kulissen

© Dirk Michael Deckbar/ Berlinale (2014)

Es muss immer schneller gehen in unserer medialen Welt. Wir müssen die Dinge schon erfahren, bevor sie überhaupt passiert sind. Heute Nachmittag kam die Einladung der KBB, der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin, zur Pressekonferenz am kommenden Freitag, auf welcher der neue Leiter der Berlinale bekannt gegeben werden soll. Vier Stunden später wissen wir dank der BILD-Zeitung bereits, welcher Name dann genannt werden wird.

Wissen wir es wirklich? Das Blatt beruft sich auf eine Quelle innerhalb der KBB, derzufolge es Carlo Chatrian sein soll, der bislang das Festival in Locarno leitete. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird nicht erfreut sein, dass der Entscheidung des am Freitag tagenden Aufsichtsrat vorgegriffen wurde. Oder wurde die Meldung bewusst lanciert? Ich hatte tatsächlich für einen Moment überlegt, ob ich mich am Freitag frühnachmittags in den Martin Gropius Bau begeben sollte. Dann könnte das, was ich dort erfahren hätte, schon keinen Nachrichtenwert mehr besitzen.

Weshalb die BILD sich für diese Personalie interessiert, ist mir einigermaßen schleierhaft. Ich habe deren Berlinale-Berichterstattung in den letzten Jahren zwar nicht aufmerksam verfolgt, vermute aber, sofern es sie überhaupt gegeben haben sollte, hätte sie sich auf verzückte Hofberichterstattung vom Roten Teppich beschränkt. Einen solchen Coup hätte man eher von einschlägigen Feuilletons erwartet, etwa von der "Welt" im selben Verlag, oder dem "Tagesspiegel", der sich gern als Platzhirsch auf diesem speziellen Berliner Terrain geriert. Die Ungeduld ist verständlich, wir waren dieser Sache schließlich lange auf Spekulationen angewiesen. Da möchte man gern der Erste sein, der Bescheid weiß.

Mutmaßungen gab es genug. Nach der diesjährigen Berlinale kursierten zunächst zwei Namen. Alexander Horwath wurde ebenso genannt wie Olivier Père, der zuvor in Cannes eine Nebensektion und dann Locarno geleitet hat, bevor er zur Filmredaktion von arte ging, wo er seither höchst verdienstvolle Arbeit leistet. Die zwei Ideen hatten in meinen Augen ein zu cinéphiles, sagen wir besser: journalistisches Flair. Von weiblichen Kandidaten war, im Gegensatz zur Frühphase des Rätselratens, übrigens nicht mehr die Rede.

Aus Cannes setzte dann mein Kollege Rüdiger Suchsland das Gerücht in die Welt, die Findungskommission habe sich für Cameron Bailey vom Festival in Toronto entschieden. Nun rühmt sich Suchsland einerseits gern, gut unterrichtet und exzellent vernetzt zu sein. Zugleich war aus Quellen, die womöglich zuverlässiger sind, längst bekannt, er selbst habe seinen Hut in die Arena geworfen. Das gab seinen Lobeshymnen auf Bailey einen heuchlerischen Klang. Vielleicht war das ja nur ein Versuch, diesen Rivalen durch eine vorschnelle Bekanntgabe zu verbrennen. Dass er seiner eigenen Kandidatur mit diesem Vorpreschen schaden könnte, mag ihm in der Eile nicht in den Sinn gekommen sein. Möglicherweise wollte er auch seiner Kontrahentin Christiane Peitz vom "Tagesspiegel" eins auswischen, der er nämliche Ambitionen unterstellt? Wie dem auch sei, die Episode zeigt, dass ein Unterschied zwischen Taktik und Strategie besteht.

Dementis folgten rasch. Unterdessen durfte man in Berliner Tageszeitungen der Seligsprechung von Dieter Kosslick anlässlich eines runden Geburtstags beiwohnen. Aus dieser gleichsam postumen Perspektive wurde dem bald nicht mehr amtierenden Festivalleiter plötzlich eine unstillbare Kinobegeisterung zugeschrieben, die niemand zuvor je für ihn reklamiert hätte. Das wird er genossen haben. Vielleicht darf er sich ja doch noch Chancen ausrechnen, einen Posten als Frühstückspräsident des Festivals zu bekleiden? Auch im Interesse dieser unverhofften Jubeljournalisten müsste es eigentlich sein, dass Monika Grütters ihn am Freitag mit wohlwollende Worten in den Ruhestand verabschiedet.

Die BILD nennt derweil noch andere Namen, die zeitweilig als "heiße" Kandidaten gehandelt wurde, darunter Bero Beyer vom Filmfestival in Rotterdam sowie

Rajenda Roy, den Filmkurator vom New Yorker MOMA. Das Adjektiv mag das plötzliche Interesse der Zeitung erklären. Falls daran etwas ist, zeigt es immerhin, wie international die Findungskommission ihr Netz ausgeworfen hat. Chatrian könnte eine gute Wahl sein. Aber über seine Eignung muss ich mir im Augenblick keine Gedanken machen. Ich warte lieber ab, welche Entscheidung am Freitag verkündet wird.

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