Vergebliche Subversion

»Zulu« (1964)

Cy Endfield muss ein interessanter Mann gewesen sein. Der Amerikaner war nicht nur Drehbuchautor, Regisseur und Erfinder, sondern auch ein begabter Magier, den Orson Welles sehr bewunderte. In England hat er einen meiner Lieblingsfilme inszeniert, »Zulu« mit Stanley Baker und Michael Caine und zusammen mit Ray Harryhausen eine der schönsten Jules-Verne-Verfilmungen, »Die geheimnisvolle Insel«. Aber ich bin nicht sicher, ob er stolz war auf sein Lebenswerk.

In seiner Heimat konnte er nur eine Handvoll Filme drehen. Der beste darunter, der ziemlich unbekannte und ziemlich bravouröse Thriller »The Sound of Fury« läuft heute Abend im Berliner Arsenal als Auftakt einer Filmreihe, deren Titel Ihnen augenblicklich erklärt, weshalb das so war. Sie heißt »Hollywood Blacklist«. Endfields Film ist einer von wenigen aus Hollywood, die Gewalt glaubhaft als Konsequenz sozialen Verfalls schildern. Als er 1950 in die Kinos kam, schien unversehens eine amerikanische Tradition des Neorealismus denkbar, die aktuelle Konflikte in authentischen Schauplätzen verwurzelt.

Das eigentlich vergnügliche Gedankenspiel, sich auszumalen, wie die Filmgeschichte auch anders hätte aussehen können, wird augenblicklich ernst, wenn man es auf das Hollywood der Nachkriegszeit anwendent. Die Schwarze Liste brachte praktisch eine ganze Generation von Filmemachern zum Schweigen. Regisseure wie Jules Dassin, Joseph Losey und John Berry gingen ins Exil; andere, wie Abraham Polonsky, mussten die nächsten Jahrzehnte damit zubringen, Filme nur noch im Kopf zu inszenieren. Die biographischen Nachwirkungen dieses Aderlasses sind schwer zu ermessen; etwa 90% der aus Verbannten kehrten nie wieder zurück. Ein bald florierender Schwarzmarkt verdoppelte für die Drehbuchautoren die Erfahrung künstlerischer Enteignung, die sie ohnehin im Hollywoodsystem gemacht hatten: Im besten Fall konnten sie unter Pseudonym und für einen Bruchteil ihrer üblichen Gagen arbeiten. Die atmosphärischen Auswirkungen der Hetzjagd sind noch schwerer abzuschätzen. Hätte ein weniger von Angst bestimmtes Klima andere liberale Filmemacher wie Robert Aldrich, Richard Brooks oder Nicholas Ray dazu ermutigt, politisch waghalsigere Filme zu drehen?

Die Frage, ob die verfemten Filmemacher tatsächlich einen subversiven Einfluss ausübten, ist mit linken wie rechten Tabus belegt. Gemeinhin wird er bestritten, was das Engagement der Black-List Opfer vergeblich erscheinen lässt und konservative Gemüter beschwichtigt. Die von Hannes Brühwiler kuratierte Reihe versucht nun eine Rehabilitation dieses verdrängten Kinos und begibt sich auf Spurensuche nach dessen widerständigem Potenzial und den Konturen einer möglichen Black-List-Ästhetik. In Konzeption und Filmauswahl folgt sie (wer sagt denn, dass Kuratieren immer Knochenarbeit sein muss?) weitgehend der »Blacklisted«- Retrospektive, die das Österreichische Filmmuseum und die Viennale im Oktober 2000 zeigten. Einige der damaligen Filme werden durch interessante Alternativen ersetzt. Besonders gespannt sein darf man auf »I can get it for you wholesale« und »Give us this day«. Im Nachhinein wundere ich mich, weshalb in Wien »Johnny Guitar« fehlte, eine der großen Allegorien auf die Schwarze Liste.

Auch das Schreiben muss nicht nicht immer Knochenarbeit sein. Deshalb kläre ich Sie gleich auf, dass ich hier Elemente eines Artikels wiederverwerte, den ich damals über die Retro schrieb. Sie hatte nicht nur für mich enorme Bedeutung. Nach »Before The Code« (über den Wildwuchs vor der Einführung der freiwilligen Selbstkontrolle) widmete das Festival zum zweiten Mal einer Säuberungswelle im US-Kino eine Filmreihe. Sie war seinerzeit überdies eine Einladung an das Wiener Publikum, die aktuelle politische Situation in Österreich mit jenen Filmen zu überblenden, in denen die Blacklist-Opfer Fremdenfeindlichkeit geißeln; Menschenjagd und Lynchjustiz waren ein kardinales Motiv der Retrospektive. Die Filmreihe des Arsenal besitzt, wenige Tage nach den Ausschreitungen in Chemnitz, nun eine ebenso erschreckende Aktualität.

Im Oktober 2000 hatte ich in Wien das Glück, zwei Menschen kennen zu lernen, die fortan in meinem Leben eine wichtige Rolle spielen sollten (und deren Namen Ihnen deshalb aus diesem Blog vertraut sein dürfen): Pierre Rissient und Norma Barzman. Als Kinomacher und Presseagent hatte sich Pierre um die Wiederentdeckung vieler Black-List-Opfer verdient gemacht und ich erinnere mich lebhaft, wie er den Festivalpräsidenten Eric Pleskow, der einmal United Artists geleitete hatte, hartnäckig nach der Rolle befragte, die sein Studio während der Hexenjagd spielte. An Norma beeindruckte mich einerseits ihre unbedingte Aufgeschlossenheit. Zugleich faszinierte mich, dass es für sie nie ein Spagat war, Kommunistin und Amerikanerin zu sein. Allein die Leidenschaft und Eleganz ihrer Überzeugungen und ihres Auftretens, ihr Erzähltalent, schließlich die Aufrichtigkeit gegenüber der eigenen Biographie, ließen erahnen, wie viel Hollywood entgangen ist. Die Schauspielerin Marsha Hunt war die zweite Überlebende dieser Zeit, die das Festival eingeladen hatte. Sie hatte einst neben Greer Garson und Susan Hayward sehr moderne Frauenporträts entworfen, bevor ihr Leben und ihre Karriere eine schmerzliche Zäsur erlitt, weil sie vor dem Ausschuss keine Namen nennen wollte.

Zäsur ist ein gutes Stichwort, ich werde ohnehin schon wieder sehr lang. Deshalb morgen mehr zu dieser folgenschweren Epoche und der Filmreihe, die sie widerspiegelt.

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