Gruppenbild mit Retusche

Vanity Fair Cover. Quelle: Facebook

Erinnern Sie sich noch an die Aufregung, die vor rund zehn Jahren die Fotokampagne von Annie Leibovitz für eine bekannte Kosmetikmarke auslöste? Die Bilder waren digital nachbearbeitet worden, was normalerweise kein Grund für übermäßige Empörung ist. Allerdings rühmte sich diese Firma, mit ostentativ natürlich wirkenden Models für ihre Produkte zu werben. Sie wirkten temperamentvoll und hatten erfreuliche Rundungen. Sie schienen sich wohl zu fühlen in ihrer Haut.

Selbstverständlich war es für die Firma ein kleines PR-Desaster, als die Meldung von der Retusche die Runde machte. Auch ich fand dieses Airbrushing keine lässliche Nachbesserung. Ein Freund zieh mich damals der Naivität: Das gehöre eben zum Geschäft. Aber doch nicht in diesem Fall, entgegnete ich. Die Dementis von seiten des Auftraggebers ließ nicht lange auf sich warten: Es sei nur ein wenig Staub entfernt und die Farben seien ein bisschen korrigiert worden, hieß es. Die Fotografin wiederum wies die Vorwürfe mit imperialer Selbstgewissheit von sich. Ich vermute, 2008 durfte sie sich bereits als eine Institution fühlen. Der Tonfall ihrer Statements ließ zumindest annehmen, dass sie jedwede Kritik als Majestätsbeleidigung empfand. Allerdings ist es für Künstler nie gut, wenn sie sich unangreifbar wähnen. (Das sahen die Finanzbehörden und Leibovitz' Gläubiger ähnlich, als ein Jahr später der Finanzskandal um sie losbrach – aber das ist eine andere Geschichte.)

Nun macht wieder ein Leibovitz-Shooting von sich reden, dessen Ergebnis heftig retuschiert wurde. Für die alljährliche Hollywood-Nummer von »Vanity Fair« fotografiert sie traditionell die prächtig mit Prominenz drapierten Covers. Der Spott war heftig und viral, als Reese Witherspoon plötzlich drei Beine und Oprah Winfrey ebenso viele Hände hatten. Die Betroffenen nahmen es mit Humor. Ich bezweifle, ob Annie Leibovitz zu so viel Selbstironie fähig ist; ihre Reaktion steht noch aus. Weit schwerwiegender und bezeichnender als dieses Missgeschick ist eine andere Nachbesserung: Nachdem Vorwürfe laut wurden, James Franco habe sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht, entschied sich die Zeitschrift, ihn aus dem Gruppenbild zu entfernen. Technisch war das nicht weiter schwierig, denn die Ansammlung der Stars ist ohnehin ein Kompositum. Die meisten von ihnen standen nie so beieinander. Der arglose Betrachter entdeckt erst einmal keine Lücke, vermisst niemanden. Das Gruppenporträt ist prall gefüllt.

Eine stolze Auswahl von Hollywoodstars präsentiert sich, die ein Flair der Genugtuung über das Erreichte und eine Aura von Aufbruch verkörpern soll. Der Glamour ist ungetrübt. Natürlich durfte Winfrey nicht fehlen, die nach einer neunminütigen Rede bei einer zweitklassigen Preisverleihung bereits als Präsidentschaftskandidatin gehandelt wurde. Auch die Auswahl ihrer Geschlechtsgenossinnen bewegt sich auf der Höhe der Zeit (Gal Gadot, Zendaya, Jessica Chastain, mittlerweile darf ja auch mit Nicole Kidman wieder gerechnet werden), während die Männerriege (mit Ausnahme von Michael Shannon und Michael B. Jordan) ein eher konservatives Selbstbild Hollywoods repräsentiert. Gewiss, Tom Hanks ist hier nie fehl am Platze. Aber welch neuen Glanz haben Harrison Ford und Robert de Niro der Filmmetropole im letzten Jahr beschert? Und war es wirklich nötig, Graydon Carter einen Ehrenplatz einzuräumen, dem 2017 ausgeschiedenen Chefredakteur der Zeitschrift?

Man weiß ohnehin nie genau, welches Jahr das Cover nun tatsächlich feiert, das vergangene oder das aktuelle? Nehmen wir das Bild also als das vanity piece einer Zeitspanne (von einer Epoche mag ich aus guten Gründen nicht sprechen), in der viele überzeugt sind, Hollywood und Gewissen seien kein Oxymoron mehr. Leibovitz' Cover etabliert, wie die vorangegangenen, ein dekorativ drapiertes Zeitklima. Den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit nivellieren ihre Fotos stets glänzend. Sie schafft Sehnsuchtsbilder. Möglicherweise war es nicht ihre Entscheidung, Franco zu tilgen, aber man kann sich kaum vorstellen, dass sie sich der redaktionellen Entscheidung vehement widersetzte.

Das Bild passt gut zur Awards Season dieses Winters, die sich umgehend und reibungslos auf die aktuellen Umbrüche in Hollywood eingestellt hat. Die Zugehörigkeit zu Bewegungen wie #Metoo hat sich geisterhaft rasch in Fashion Statements umwidmen lassen. Die Golden Globes waren ein veritabler Spießrutenlauf für Gäste, die nicht schwarz trugen. Der Rechtshilfefonds Time'sUp lanciert mittlerweile eine eigene Produktlinie, deren Angebot von einfachen Einkaufsbeuteln für $12 bis zu Designer-Pullovern für $380 reicht. Hollywood verkauft einen neuen Geist. »Vanity Fair« und Leibovitz geben sich zuverlässig in dessen Schlepptau. Wir dürfen gespannt sein, was in der Hollywood-Ausgabe 2019 davon übrig geblieben sein wird.

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