Zwischen gestern und morgen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat dieser Tage eine repräsentative Studie veröffentlicht, deren Ergebnisse ermutigend und dazu angetan sind, viele diffuse Ängste zu beschwichtigen. Die AfD wird aus ihr wohl keinen Honig saugen können.

Zwei Drittel der befragten Flüchtlinge, die seit dem 1. Januar 2013 in Deutschland angekommen sind, haben den Wunsch, sich hier weiterzubilden, 92% von ihnen sind für die Gleichberechtigung der Frau und 96% befürworten ein demokratisches System. Die Untersuchung legt nahe, dass die Schutzsuchenden sich stärker mit europäischen Grundwerten identifizieren als mit jenen, die das gesellschaftliche Miteinander in ihren Herkunftsländern bestimmen. Wie häufig sie ins Kino gehen, ist ihr nicht zu entnehmen. Und ob sie maßgeblich zum Kassenerfolg von »Willkommen bei den Hartmanns« beigetragen haben, muss die Studie ebenfalls offen lassen Die Flüchtlingskomödie mit Eric Kabongo sowie einer von Reihe aus Film und Fernsehen bekannten Darstellern bricht zwar momentan erkleckliche Rekorde, lief bedauerlicherweise aber erst nach Ende des Erhebungszeitraums an.

Auf die Frage allerdings, für welche Art von Filmen sich Geflüchtete interessieren, erhielt ich vor zwei Tagen eine Antwort, die ebenso verblüffend wie einleuchtend ist. Die Leiterin der übrigens exzellent ausgestatteten Filmabteilung der Zentral- und Landesbibliothek Berlin erzählte mir, dass bei ihr auffallend häufig Trümmerfilme nachgefragt werden. Verblüffend ist diese Auskunft insofern, als dies ein eher verwehtes Kapitel deutsch-deutscher Filmgeschichte ist. Nicht einmal Christian Petzolds »Phoenix« konnte vor zwei Jahren nennenswert neues Interesse an ihm wecken. Wie die Bibliotheksbesucher überhaupt auf die schwarzweißen Heimkehrerdramen aus der Nachkriegszeit aufmerksam wurden, gehört wohl zu den Mysterien der Medienpädagogik.

Einleuchtend ist diese Entdeckung, da die Filme Konflikte und Probleme verhandeln, die neu ankommender Migranten sehr vertraut sind. Die Trümmerfilme, von denen »Die Mörder sind unter uns« noch immer der berühmteste ist, reagierten ganz unmittelbar auf die Realitäten der Nachkriegsjahre. Ihre Protagonisten sind Entwurzelte, die sich in den Ruinen der Großstädte wieder zurechtfinden müssen. Sie versprechen das Gegenteil von Eskapismus (nicht einmal die Komödie »Film ohne Titel«, in der es um die Frage geht, ob man 1948 schon wieder Komödien drehen sollte, ist sonderlich erheiternd), sondern verhandeln Schuld, Verdrängung und Ausgrenzung. Sie führen vor Augen, dass nach der Stunde Null die Barbarei noch immer enorme Verharrungskräfte besaß. Die Kinder, die munter in der Trümmerlandschaft von »Irgendwo in Berlin« Verstecken spielen, spielen bald ebenso munter Krieg. Von Erlösungsvisionen keine Spur. Welch positive, zukunftsweisende Botschaft könnten Sie also heute bereithalten? Die Filmreferentin der Bibliothek berichtete mir von einem Syrer, den Staudtes »Die Mörder sind unter uns« ungemein beeindruckte. Er nahm das Zeitbild aus einer für uns vergangenen Epoche als Ansporn: Irgendwann wird es möglich sein, die zerstörte Heimat wiederaufzubauen.

 

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt