Kritik zu Willkommen bei den Hartmanns

© Warner Bros. Pictures

Kaum mehr als ein Jahr nach Merkels »Wir schaffen das« macht Simon Verhoeven den Umgang der Deutschen mit der Flüchtlingskrise zum Gegenstand einer Komödie

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»Nein, Deutschlehrer haben wir mehr als genug. Die ganzen Rentner rennen uns hier die Bude ein«, sagt der Leiter des Flüchtlingsheimes in freundlichem, aber bestimmten Ton. So hatte sich das Angelika Hartmann (Senta Berger) nicht vorgestellt. Die ehemalige Schuldirektorin wollte helfen, wo sie heute Morgen die arme Maus schon nicht vor dem tödlichen Zugriff der Katze retten konnte. Sie müsse endlich einsehen, dass sie nicht die ganze Welt retten könne, hatte ihr Mann Richard (Heiner Lauterbach) vom Balkon der Münchner Stadtrandvilla herunter gespöttelt. Aber ganz so selbstlos ist Angelikas Helferwunsch nun auch nicht. Seit ihrer Pensionierung macht sich eine große Leere in ihrem Leben breit, die sie zunehmend mit gutem Rotwein zu füllen versucht. Sohnemann Philipp (Florian David Fitz) und Tochter Sophie (Palina Rojinski) sind längst aus dem Haus. Der Ehemann hält an seinem Chefarztposten fest und lässt sich beim Schönheitschirurgen die Augenfalten wegspritzen. Angelika verkündet beim Familienessen schließlich, dass sie einen Flüchtling im Haus aufnehmen will. Gegen das mit großer patriarchaler Geste, aber ohne Erfolg eingelegte Veto Richards fällt die Wahl schließlich auf den jungen Nigerianer Diallo (Eric Kabongo), der bald mit neugierigem Blick die dysfunktionalen Familienverhältnisse der Hartmanns erkundet.

Kaum mehr als ein Jahr nach Merkels »Wir schaffen das« nähert sich Simon Verhoevens »Willkommen bei den Hartmanns« dem Thema Flüchtlingskrise mit einer scheinbar sorglosen Attitüde, die ihm sicherlich viele zum Vorwurf machen werden, zumal er die Wohlstandsperspektive der Münchner oberen Mittelklasse einnimmt. Zum gutbürgerlichen Familienchaos bietet der Nigerianer Diallo, der vor dem islamistischen Terror der Boko Haram nach Deutschland geflüchtet ist, einen starken Kontrast. Verhoeven inszeniert den Zusammenprall der Kulturen jedoch in einem abgesicherten Modus. Die Figur des Flüchtlings wird zum Katalysator im zerrütteten Familiengefüge und verschiebt angesichts ihres sehr viel tragischeren Schicksals die selbstbespiegelnde Problemperspektive der Hartmanns.

Dieses Verfahren entspricht nicht ganz den Standards politisch korrekter Reinheitsgebote. Der Film stürzt sich mitten hinein in den widersprüchlichen, emotionalen Zustand des Landes und zeigt die durchaus bizarren Effekte, die beim Aufeinanderprallen bundesdeutscher Luxusprobleme und Flüchtlingsschicksale freigesetzt werden. Er tut dies ohne moralische Wertungen und politische Posen, sondern mit einer offensiven Leichtigkeit, die dem realen, gesellschaftlichen Diskurs leider abhanden gekommen ist. Dennoch findet der Film im humoristischen Getümmel Zeit, Raum und eine prägnante Form für die Darstellung der traumatischen Fluchterlebnisse, die über eine bloße Alibifunktion hinausgeht. Aber auch auf der Komödienebene spielt »Willkommen bei den Hartmanns« mit schnellen Pointen immer wieder auf die realpolitischen Verhältnisse an und spürt gekonnt die komischen Dissonanzen zwischen Mitgefühl und kultureller Ignoranz in der bundesdeutschen Willkommenskultur auf.

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