Sommerkino: Wir brauchen ein größeres Boot

Es gibt Filme, bei denen man sich noch genau erinnert, wann, wo und mit wem man sie zum ersten Mal gesehen hat. Viele sind es nicht. Für meine Generation, und nicht nur für sie, zählt »Der weiße Hai« zweifelsohne dazu. Ich habe ihn mit einiger Verspätung, im Sommer 1977, entdeckt. 

Damals veranstalteten einige Kinos in unserer Nachbarstadt Bielefeld Sommer-Festivals mit täglich wechselndem, buntem Programm. Das war eine wunderbare Gelegenheit, Filme aus den letzten zwei Jahrzehnten nachzuholen. Mein Schulfreund Heiko und ich nahmen fast jeden Nachmittag die Bahn (aus Sparsamkeit und einer gewissen Abenteuerlust fuhren wir meist schwarz), um ins »Astoria«, »Movie« oder die »Kamera« zu gehen. Für die Kinobesitzer waren diese Ferienprogramme ein relativ gutes Geschäft, die saisonale Zuschauerflaute belebte sich so ein wenig. Das »Astoria« mochte ich von den Kinos am wenigsten (wenngleich Gary Cooper dorthin zur Premiere von »Zwölf Uhr mittags« angereist war, allerdings lange vor meiner Geburt); sein übliches Programm schien mir etwas seelenlos. Dort aber sahen Heiko und ich »Jaws« (schon damals war es für uns Ehrensache, von Filmen mit ihren Originaltiteln zu sprechen) zum ersten Mal. Kurioserweise hatte ich meine Brille vergessen, weshalb wir in der ersten Reihe sitzen mussten.

Wir waren mächtig beeindruckt. Bis dahin kannten wir Haie nur aus Flipper-Folgen, wo der Delphin sie in der Regel mit einem beherzten Nasenstüber verjagte. (Murnaus "Tabu", in dem ein großer weißer Hai einen Perlenschatz bewacht, entdeckten wir erst viel später.) Gelesen hatten wir vorher schon über den Film, das bei Heyne erschienene Buch über die Dreharbeiten, das der Drehbuchautor Carl Gottlieb verfasst hatte, kannten wir genau. Dennoch waren wir etwas überrascht, wie gut uns Spielbergs Film gefiel. Für mich gehört er noch heute zu seinen besten Arbeiten. Ich müsste es nochmals überprüfen, aber neben »Catch me if you can« ist es eigentlich mein Lieblings-Spielberg. Er bestreitet es, aber ich habe den Verdacht, Heiko schätzt eher dessen gewichtigeren Filme wie »Schindlers Liste« und "Der Soldat James Ryan". 

Als "Jaws" 1975 startete, war es ein veritabler game changer: der erste Sommerblockbuster. Die großen Hits der Vorjahre, »Der Pate« und »Der Exorzist« waren in den USA im Winter bzw. Herbst angelaufen. Zwei Jahre später setzte »Krieg der Sterne« den Trend fort. Es brauchte eine Weile, bis er in Deutschland ankam. »Jaws« und »Star Wars« starteten hier zu Lande noch jerweils im folgenden Winter. Wenn ich mich nicht irre, waren die ersten US-Blockbuster, die auch bei uns im Sommer anliefen, der dritte »Indiana Jones« und »Lizenz zum Töten«, der zweite Bond-Film mit Timothy Dalton. Bis dahin überließ man das Sommergeschäft deutschen Komödien mit Otto Waalkes und Konsorten. Wie lang die Verzögerung zwischen US- und Europastarts damals, lange vor der Piraterie-Hysterie, noch war, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die großen Disney-Trickfilme etwa liefen in Frankreich immer erst ein Jahr später an. 

»Jaws« feiert nun sein 40jähriges Jubiläum. Dieser Anlass wird u.a. vom Bertz+Fischer Verlag gebührend mit dem Erscheinen eines Buches gefeiert (DER WEISSE HAI revisited), das mir über weite Strecken sehr gut gefallen hat. Als Urlaubslektüre kann man es nur Furchtlosen empfehlen - nicht wegen womöglich haiverseuchter Gewässer am Ferienort, sondern seines wissenschaftlichen Zuschnitts (wer will am Strand schon ständig zu den Fußnoten vorblättern?). Ich will überhaupt nicht viele Worte darüber verlieren, denn im nächsten Heft von »epd Film« gibt es offenbar eine ausführliche Rezension von Jörg Buttgereit, der von Horrorfilmen in der Regel mehr versteht als ich. (Die Idee, auch Meeresbiologen als Autoren heranzuziehen, will ich aber dennoch preisen.) 

Auf eine originelle Idee, das Jubiläum zu begehen, ist auch das Berliner Kino Babylon gekommen, das aus diesem Anlass ab morgen (14.8.) ein Dutzend Wasserfilme zeigt, von »Life of Pi« über »Das Boot« bis zu Naomi Kawase. »Chinatown«, in dem das Motiv als Geräusch, Schauwert und Metapher vielschichtig wie sonst nirgendwo eingesetzt ist, scheint zu fehlen. Ein toller Einfall ist hingegen die Programmierung von  »Spiel mir das Lied vom Tod«, der bekanntlich zwar in der Wüste spielt, das Element aber, angefangen mit Woody Strodes Hut und endend mit Gabriele Ferzettis Tod, überaus subtil einsetzt. 

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