Reisen an verschwundene Orte

Wim Wenders vor seinen Fotografien

Für Wim Wenders' Fotografien habe ich mich nie sonderlich interessiert. Auf den ersten Blick schienen sie mir zu nachdrücklich inspiriert von den Gemälden Edward Hoppers. Ich war immer der Ansicht, der habe schon genug fotografierende und auch begabtere Epigonen gefunden. Die einschlägigen Arbeiten von Joel Meyrowitz und William Eggleston hätten mir schon vollends genügt.

Auf den zweiten Blick stellt sich mir diese Abkunft von Wenders' Fotografie etwas anders da. Gewiss, sie greifen oft die Farbvaleurs von Hopper auf, unterscheiden sich bisweilen aber stark in Perspektive und Komposition. Der große Unterschied besteht natürlich darin, dass Wenders' Fotografien menschenleer sind, während Hopper Einsamkeit und Entfremdung eine menschliche Präsenz verleiht.

Vielleicht stimmten meine Vorbehalte gegenüber diesem Aspekt seiner Arbeit aber auch einfach nur mit denen überein, die ich gegenüber Wenders' Filmen hege: Sie erscheinen mir viel zu deutsch in ihrer Amerika-Sehnsucht. Ich schloss mich gern der Meinung jener Kritiker an, die behaupteten, die Landschaft sei das Interessanteste an seinen Filmen. Allerdings lassen sich die Parallelen noch weiter führen und zuweilen auch ins Positive wenden. In den Fotografien schreibt sich die Auffassung fort, das Kino sei eine Kunst der Stille. (Dazu gehört auch die Bewegung im Raum, aber die unternimmt der fotografierende Reisende Wenders selbst.) Sein Blick erfasst Stimmungen. Diese atmosphärische Achtsamkeit lässt Orte zu Geschichtenerzählern werden. Ich nahm an, die ersten Fotografien seien bei Schauplatzsuchen entstanden und diese Recherchen hätten sich dann zu einer eigenständigen Passion entwickelt. Die Entstehungszeit vieler Fotos legt es nahe, lässt sich zurückverfolgen ins zeitliche Umfeld von Dreharbeiten. Ganz so eindeutig scheint das Verhältnis nicht zu sein: Sie könnten auch währenddessen oder danach entstanden sein.

Der Besuch der aktuell in der Berliner Dependance der Galerie Blain/Southern gezeigten Ausstellung »time capsules. by the side of the road« hat meinen Betrachtungen eine sacht andere Richtung gegeben. Sie ist noch bis zum 14. November zu sehen und versammelt offiziell recent photographs. Es sind jedoch auch ältere Arbeiten darunter; frühe Schwarzweißaufnahmen reichen bis ins Jahr 1963 zurück. Ein Gutteil der Bilder ist in jenem Teil der USA entstanden, den der Magnum-Fotografe Alec Soth einmal the big middle nannte: die Regionen, die man in der Regel überfliegt. (Etliche sind aber auch in Kanada angesiedelt, wo Dreharbeiten bekanntlich billiger sind). Soth' Name kommt mir in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr in den Sinn. Er ist einmal für ein Ausstellungsprojekt auf den Spuren von Wenders' Dreharbeiten zu »Paris, Texas« gewandelt, womit das Epigonentum eine weitere Volte geschlagen hat.

Im ersten Saal der Galerie, einer sehr hohen Halle, wird der Besucher von Breitwand-Bildern in dem Ort angemessen, monumentalen Formaten empfangen. Es sind in der Tat Zeitkapseln: Sie protokollieren u.a. den Wandel des Potsdamer Platzes. Ihr Ausmaß und ihre Beobachtungsfülle sind imposant. Wenders' Filmbilder geben sich ja demonstrativ unaggressiv; über die wuchtigen Großformate lässt sich das schwerlich sagen. Einige Bilder sind bei Exkursionen durch Brandenburg entstanden (das Bild des morgendlichen Spargelfeldes bei Beelitz ist clever kadriert), andere in Montana. Der Unterschied ist zwar sichtbar, aber oft sind beide Landschaften durch Zäune eingefriedigt. Der Blick in die Tiefe ist majestätisch, bei der Aufnahme einer Farm in Montana werden ganz unterschiedliche Landschaften sichtbar, eine Steppe, eine Wüste, schneegekrönte Berge. Der Dialog unterschiedlicher Topographien setzt sich im zweiten Stock fort. Ein häufiges Motiv sind ausrangierte, dem Verfall preisgegebene Drive-In-Kinos, die er aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen hat. Da ist die Melancholie natürlich schon vorprogrammiert, und ein, zwei Bilder hätten mir durchaus schon genügt. Einmal jedoch rückt er ein bestürzendes Detail in den Vordergrund, das Doppelgrab von Zwillingen, die ihren ersten Tag auf Erden nicht überlebt haben.

Elegisch sind die Landschaftsstudien in jedem Fall. Sie zeigen verlassene, aufgegebene Orte. Wenders ist fasziniert von dem, was übrig geblieben ist – ein abgestürztes Flugzeug vor der Kulisse des Monument Valley, eine verlassene Sauerkraut Factory, ein Postamt, das in der Wüste verwittert. Ein Motiv scheint immer wieder auf: Medien der Kommunikation, deren Funktion erloschen ist. Dazu gehören neben den Kinos und Briefkästen auch eine Brücke, die nie fertiggestellt wurde. Seine Stadtlandschaften registrieren ebenfalls das Verblassen und Verschwinden. Ich hoffe, dass bei anderer Gelegenheit noch mehr von Wenders' Interieurs zu entdecken sein werden. Die alte Dame hinter dem Tresen einer Bar ohne Kundschaft, daie Aufnahme eines Stuhls, von dem niemand auf ein riesiges Sternenbanner starrt, fand ich eindrücklich kalkuliert. Die nachgerade märchenhaften Motive, die er in Norddeutschland gefunden hat – das versunkene Auto in einem winterlichen Garten; der Salzberg, der hinter einer Straße aufragt (hätte auch ohne die Puppe im Kinderwagen funktioniert) –, demonstrieren, dass er gar nicht so weit reisen müsste, um Geschichten zu finden.

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