Nachrichten aus dem Monument Valley

Hier zu Lande wäre so etwas undenkbar - Oder können Sie sich eine deutsche Tageszeitung vorstellen, auf deren Titelseite ein Szenenfoto aus einem Schwarzweißwestern zu sehen ist, der vor fast 70 Jahren gedreht wurde? Das würde keine Chefredaktion durchgehen lassen, die sich dem Diktat der Aktualität und politisch-gesellschaftlichen Relevanz verpflichtet fühlt.

Aber am heutigen Mittwoch (3.12.) war das in Frankreich ganz anders. Da machte "Libération" mit einem Titel auf, der Victor Mature und Linda Darnell in »Faustrecht der Prärie« zeigt. In der Cinémathèque beginnt eine John Ford-Retrospektive, die bis 23. Februar läuft und 85 Filme umfasst. Es ist die erste seit einem Vierteljahrhundert. Hätte da nicht ein ausführlicher Artikel im Filmteil genügt? Hat Frankreich keine größeren Sorgen? Selbst wer die zweite Frage mit einem kategorischen "Ja" beantwortet, wird nicht umhinkönnen, der erhabenen Nonchalance der Pariser Blattmacher seinen Respekt zu zollen. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass die von argen finanziellen Turbulenzen erschütterte Tageszeitung mit einem Filmthema aufmacht, wenn es Ereignischarakter besitzt - wie etwa der Filmstart von »Mommy« vor einigen Wochen oder der von »Blau ist eine warme Farbe« im Herbst letzten Jahres. Als im März Alain Resnais starb, war diese Nachricht der Redaktion die ersten acht Seiten wert. Aber einen klassischen Hollywoodregisseur in dieser Weise zu würdigen, ist schon ein einzigartiger Triumph der Cinéphilie. Der Auflage des Blattes wird das wahrscheinlich weniger nutzen als dem Umsatz der Kinemathek. Zumal den Titel ja nicht einmal Henry Fonda oder John Wayne zierten.

In deutschsprachigen Kinematheken gilt das klassische Hollywoodkino ja eher als Risiko. Die Ausnahme bildet da meist das Österreichische Filmmuseum, das zur Viennale ebenfalls eine Ford-Werkschau zeigte. (Sie machte auch Furore und brachte überdies eine außerordentliche Buchpublikation hervor). Und wenn ich mich nicht irre, steht auch in Frankfurt eine solche demnächst auf dem Programm. Aber die FAZ oder Rundschau würde ich am Eröffnungstag gewiss nicht in der Erwartung eines Ford-Aufmachers kaufen. Dazu liebt man das Kino bei uns einfach nicht genug. In Frankreich hat man da vernünftigere Prioritäten. Aber auch dort ist die Cinéphilie keine unangefochtene Selbstverständlichkeit mehr. In aller Wahrscheinlichkeit befindet sie sich sogar seit Jahren auf dem Rückzug. Aber was für tolle Rückzugsgefechte sie sich noch liefert! Einen kinematographischen Ewigkeitswert wie John Ford verteidigt sie jedenfalls prächtig. Die Filmredaktion von Libé hatte die blendende Idee, fünf zeitgenössische Regisseure zu befragen, was ihnen Ford heute bedeutet. Die Antworten interessierten mich brennend – nicht zuletzt, da ich mich in einem Artikel zur Wiener Retro im "Falter" auch mit seiner Zeitgenossenschaft beschäftigte. Ich fürchte, das war eher eine bange Behauptung, als eine sattelfeste Argumentation. Die französischen Regisseure, allen voran Mathieu Amalric, äußern sich da viel lebhafter, unbefangener. Amalric findet in Fords Filmen einen gültigen moralischen Leitfaden für sein tägliches Leben wieder, er bewundert zudem, wie großartig er das Altern von Fonda und Wayne in Szene setzt. Wenn Patricia Mazuy einen Film von ihm sieht, sagt sie, fühlt sie sich wie in einem Haus, in dem sie leben möchte. Sie bewundert, wie er das Vergehen der Zeit inszeniert und wie er Situationen mit Philosophie auskleidet. Mitunter muss sie bei seinen Filmen an Philippe Garrel denken – was für ein kühner Generationen- und Kultursprung! Sie mag die Frauen, die bei Ford immer außergewöhnlich sind. Bei diesem Regisseur gibt es keine Figur, die sie nicht zum Träumen bringt. Und ihm ist es gelungen, sie glauben zu machen, dass John Wayne schön war! Nach Ansicht von Dominique Marchais, den ich nicht kenne, stellt Ford stets eine Verbindung zwischen dem Alten Testament und dem Heute dar. Für Pierre Schoeller, den Regisseur von »Versailles« und »Der Aufsteiger«) ist es ein Filmemacher, der unser Leben in allen Phasen begleiten kann. Er zieht sogar eine Linie von Ford zu dem Watergate-Film »Die Unbestechlichen« und zu David Fincher.

Sie alle feiern Ford als den Regisseur der Gemeinschaft. Dass seine Filme nicht die konservativen US-Mythen des Individualismus und der Autarkie propagieren, habe ich auch geschrieben. Aber ich muss gestehen, dass ich mich dazu von zwei französischen Regisseuren habe inspirieren lassen, von Bertrand Tavernier und Jean-Claude Brisseau. Aber die Verlegenheit darüber kann ich gut verschmerzen: jetzt, wo ich lesen durfte, dass deren jüngere Kollegen den amerikanischen Meister mit der gleichen, klugen Inbrunst verehren.

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