Ein Glücksversprechen

Irgendwo schnappte ich vor Jahren einmal einen Satz auf, in dem eine schöne Utopie formuliert ist: Große Kunstwerke verstehen sich untereinander. Das muss für ihre Schöpfer nicht gelten. Auch wenn sie Allianzen schmieden, Freundschaften pflegen oder Seelenverwandtschaften entdecken, wollen sie sich doch abgrenzen. Das kann aus ästhetischen oder moralischen Vorbehalten heraus geschehen. Aber auch Eifersucht und Missgunst sind Triebfedern, deren Kraft man nicht unterschätzen sollte.

Francois Truffaut beispielsweise hatte rein gar nichts für Michelangelo Antonioni übrig. Er verabscheute „La Notte“ und fand die Rolle Jeanne Moreaus so sinister, dass er sie in „Jules und Jim“ das genaue Gegenteil spielen ließ. Die Haltung des Italieners gegenüber seinen Frauenfiguren nannte er so heuchlerisch wie die Rede Charles de Gaulles, in der dieser den Algeriern versicherte, er verstünde sie. Das Programm der Saison 2014-2015, das die Cinémathèque francaise am letzten Donnerstag vorstellte, verdammt beide Regisseure nun jedoch zu friedlicher Koexistenz. Ab Oktober widmet die Pariser Kinemathek Truffaut eine große Schau aus Anlass seines 30. Todestages und übernimmt, nach einer kurzen Schonfrist, dann im April die zuerst 2012 in Ferrara gezeigte Antonioni-Ausstellung. Die Nachwelt darf großzügiger sein.

Zum ersten Mal hatte ich die Gelegenheit, dieser aufwändig und selbstbewusst präsentierten Programmvorschau beizuwohnen. Als Appetithäppchen wurden einige unbekannte Filmdokumente gezeigt. Darunter waren stumme Testaufnahmen von Charles Aznavour und Marie Dubois für „Schüsse auf den Pianisten“ sowie Dubois' erstes Vorsprechen. Wie die Probeaufnahmen des kleinen Jean-Pierre Léaud demonstriert diese Trouvaille Truffauts Talent, Schauspielertemperamente mit einigen wenigen Fragen auszuloten (Sie werden sich gewiss an Dubois' hübschen Auftritt als „rauchende Lokomotive“ in „Jules und Jim“ erinnern). Als besonderer Leckerbissen lief ein vor kurzem entdeckter Kurzfilm, den Truffaut auf dem Festival von Mar del Plata drehte, als er sich mitten in seiner Hitchcock-Phase befand. Es ist eine flotte Stummfilmburleske, in der der Regisseur lustvoll die Erdrosselung einer Dame demonstriert. Danach waren Kostümproben Monica Vittis für „Die rote Wüste“ zu sehen, die vorzuführen Serge Toubiana, der Direktor der Cinémathèque beinahe vergessen hätte. Truffaut liegt ihm als ehemaligem Redakteur der "Cahiers du cinéma" und Co-Autor einer Biographie offenkundig näher; zumal der Regisseur eng mit Mythos der Cinémathèque verbunden ist Die Antonioni-Schau, stellte er in Aussicht, werde sehr modern konzipiert sein.

In den überaus ambitionierten Programm (Toubiana wurde nicht müde, den vielen Sponsoren zu danken) wird Truffaut zwei alten Freunden wiederbegegnen, seinem ehemaligen Asisstenten Philippe de Broca und Claude Sautet, den Truffauts Nachfolger bei den „Cahiers du cinéma“ jahrzehntelang sträflich unterschätzten. Ein wichtiges Erbe des Cinémathèque-Gründers Henri Langlois ist die Kunst der Programmierung, das Aufspüren geheimer Verbindungen zwischen unterschiedlichen Werken und Stilen. Die folgende Saison verspricht, diese Verpflichtung einzulösen. Es ist prunkvoll heterogen. Ewigkeitswerte der Filmgeschichte (John Ford, Buster Keaton, dessen Indianerblick Truffaut auf dem Plakat imitiert, Nagisa Oshima sowie Orson Welles) stehen neben Erkundungen nationaler Kinematographien (Brasilien, Singapur, Frauenrollen im chinesischen Kino) sowie Genrekino aus Hollywood und Europa (Phil Karlson, Sergio Leone sowie John McTiernan, der als Kreuzung aus Shakespeare und Tex Avery vorgestellt wurde) und der Würdigung europäischer Filmautoren, die ein wenig aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerutscht sind (Ermanno Olmi, Alexei Guerman, Luigi Zampa). Der französische Regisseur Guy Gilles ist der einzige Name, der nur Eingeweihten vertraut ist. Wagemutige Experimente wagt diese mithin Programmplanung nicht, sie lädt eher zur Neubesichtigung von Vertrautem ein. Zweifellos werden die drei Kinos in der nächsten Saison gut ausgelastet sein.

An die Präsentation schließt sich in jedem Jahr, sofern das Wetter es zulässt, ein kleines Sommerfest im Park von Bercy an, der sozusagen der Vorgarten der Institution ist und große Verweilqualität besitzt; nicht nur, wenn man die Wartezeit zwischen zwei Vorstellungen überbrücken muss. Das Buffet war vorzüglich, der dazu gereichte Champagner mundete enorm und es ergaben sich dementsprechend angeregte Gespräche. Der Leiter der Sammlungen der Cinémathèque erzählte, dass der Nachlass Truffauts zu den am häufigsten konsultierten Archiven gehört – gefolgt von dem des Festivals von Cannes, dem zu Jean Epstein (was nicht ganz so verblüffend ist, weil der Regisseur zu den großen Theoretikern des Kinos zählt und enge Kontakte zu Zeitgenossen wie Luis Bunuel, René Clair und anderen unterhielt) und dem Nachlass von Louis Malle. Die Leiterin des tollen Repertoirekinos „Grand Action“ berichtete mir stolz von dem Erfolg, den gerade die Reprise von Sam Fullers „White Dog“ hat. Es lag nicht nur am Champagner (dem Sponsor sei gedankt), dass ich den Nachmittag mit dem Hochgefühl verließ, dass sich die französische Cinéphilie nach wie vor prächtiger Gesundheit erfreut.

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