Ausstellung: »W.I.M. – Die Kunst des Sehens«

Ausstellungsstück aus »Der Himmel über Berlin« (1987)

Ausstellungsstück aus »Der Himmel über Berlin« (1987)

Zum Suchen geboren

Nachdem die Kuratoren der Wim-Wenders-Schau in der Bundeskunsthalle Bonn ihr Konzept eine Dreiviertelstunde lang beim Pressetermin vor der Eröffnung offengelegt hatten, war der Filmemacher ganz kurz sprachlos. Dann resümierte er die wertschätzenden Vorträge von Susanne Kleine (Bundeskunsthalle), Hans-Peter Reichmann und Isabelle Luise Bastian (Deutsches Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt): »Ich bin jetzt ein offenes Buch.« Aber natürlich war damit noch nicht alles gesagt. Wenders, der am 14. August 80 geworden ist, fühlt sich durchaus reif fürs Museum. Der Schöpfer von Werken wie »Alice in den Städten« (1974), »Paris, Texas« (1984) und »Himmel über Berlin« (1987) betrachtet sich als Künstler mit großer Vergangenheit, aber als einer mit unternehmungslustigem Blick in die Zukunft. Als Weltreisender und Filmemacher habe er noch viel vor. Mit altmeisterlicher Souveränität, entspannt, anekdotenreich und humorvoll blickte Wenders in Bonn auf seine Karriere zurück. Seinen Frieden hat er inzwischen auch mit enttäuschenden Erfahrungen in Hollywood gemacht. Mit »Hammett« (1982) zum Beispiel sei er ja »krachend gescheitert«, gab er mit heiterem Unterton zu.

Das »offene Buch« in der Bundeskunsthalle umfasst neun Kapitel. Es entsteht ein XXL-Mosaik aus Film, Foto, Kunst, Kino und Musik, aus literarischen Einflüssen, legendären Soundtracks, der Faszination für Amerika und Japan, aus Biografischem, frühen (noch ungelenken) Malereien, Aquarellen und Comics sowie umfänglichem Archivmaterial – mit Briefen von Willy Brandt, Nastassja Kinski und Peter Handke. Und Belegen für Wenders’ Arbeit als Filmkritiker. Ausschnitte aus zentralen Werken sind zu sehen. Storyboards, Requisiten und Polaroids von den Dreharbeiten eröffnen gleichsam einen Dialog zwischen Werk und Werkentstehung. Die Ausstellung wirft mit fantastischem Detailreichtum einen Blick hinter die Kulissen und erzählt Geschichten hinter den Filmerzählungen.

Als Wegbegleiter fürs Publikum ist Wenders akustisch anwesend. Er hat den Audioguide selbst eingesprochen; danach sei er heiser gewesen. 1945 in Düsseldorf geboren, hat er seine Kindheit im Ruhrgebiet verbracht. Der Nachkriegsalltag erschien grau, der junge Wilhelm entdeckte in der Kunst, in Museen und zu Hause im bürgerlichen Milieu eine andere, verführerische Welt. 1966 ging er nach Paris, um Maler zu werden. Der winzigen, kalten Studentenbude entfloh er in die Cinémathèque française, wo er sich aufwärmte und nebenbei eine lebensentscheidende »Éducation cinématographique« absolvierte. »Einen wahren Crashkurs in Filmgeschichte habe ich da hinter mich gebracht«, erzählt Wenders via Audioguide. Filme wie Dennis Hoppers ­»Easy Rider«, François Truffauts »Jules und Jim« sowie Ingmar Bergmans »Das siebente Siegel« sind mitverantwortlich dafür, dass Wenders an die neu gegründete Filmhochschule in München ging. Der Rest ist Kinogeschichte.

Als Allererstes sehen die Besucher in Bonn einen Engel: Bruno Ganz als Damiel, der in »Himmel über Berlin« bereit ist, seine Unsterblichkeit für die Liebe aufzugeben. Neben dem Riesenfilmstill hängt Ganz’ langer Mantel auf einem Kleiderständer. Für mich waren Engel vor allem eine Metapher für den besseren Menschen, den wir in uns tragen und der wir so oft gerne wären, nämlich das Kind in uns«, hat Wenders einmal festgestellt.

Der Filmemacher versteht sich selbst als »Reisender und dann erst als Regisseur oder Fotograf«. Er liebt es, in einer Stadt verloren zu sein (»ein Zustand höchsten Glücks«) und dann seinen Weg zu finden. Als ewig Suchender hat er auch seine Filme konzipiert, motiviert von Inspiration und Improvisation, keinem einengenden Drehbuchrahmen. Das Publikum in Bonn entlässt er in einem von ihm maßgeblich mitgestalteten immersiven Kinoraum. Auf fünf Leinwänden, jeweils acht Meter hoch, laufen Ausschnitte aus 24 seiner Werke: ein intensives, knapp halbstündiges 360-Grad-Filmerlebnis. Höhepunkt: zuvor noch nie gezeigte Szenen des Auftritts von Nick Cave & The Bad Seeds in »Himmel über Berlin«.

Bis 11. Januar 2026. Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt präsentiert die Wenders-Ausstellung vom 10. März bis 9. Oktober 2026 mit eigenen Schwerpunkten.

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