Serien-Tipp: »Westworld« Staffel 4

»Westworld« (Staffel 4, 2022). © Home Box Office, Inc.

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Sentimentale Implosion

Sieben Jahre sind vergangen, seit am Ende der dritten Staffel von »Westworld« das Bewusstsein der Androidin Dolores (Evan Rachel Wood) in den Riesencomputer Rehoboam eingespeist und die Menschheit von der Diktatur des Algorithmus befreit worden war. Damit kehrte zugleich der freie Wille zurück ins Leben des Homo sapiens und jene von Dolores erträumte Welt, in der ihresgleichen unbehelligt hätte existieren können, rückte mitsamt Racheplänen in weite Ferne. So zumindest schien es.

Doch am Scheinbaren und am Tatsächlichen sowie an der Verwischung der Grenze zwischen KI/Androide und Mensch arbeiten sich die Serienverantwortlichen Jonathan Nolan und seine Frau Lisa Joy von Beginn an und generell in ihren Werken ab. In immer neuen Variationen und mit immer neuen Finten treten daher in »Westworld« seit 2016 die digital respektive analog determinierten Bewusstseine gegeneinander an, innerhalb eines datenbasierten, freilich korrupten Überwachungsstaates, der zeitweise die Gestalt titelgebenden Themenparks annimmt. Ebenen türmen sich aufeinander und stürzen wieder ein, Spiegelungen führen ins Unendliche und erweisen sich dann als trügerisch, das Täuschungsmanöver ist der Narration liebstes Kind: das Kaninchen, dem Alice in den Abgrund folgt, und das andernorts aus einem Hut gezaubert wird. Vorzugsweise dem Hut des schwarzen Mannes, Dolores' Nemesis William, der in »Westworld«, dem Spiegel tiefer Wahrheiten, all seinen bösen Trieben die Zügel schießen lässt; ein Mr. Hyde, zu dem es den Dr. Jekyll möglicherweise nie gegeben hat.

An seiner Bösartigkeit lässt er – egal in welchem Aggregatzustand – auch in der »Die Wahl« untertitelten, vierten Staffel keinen Zweifel. Allein, es nützt ihm nichts im Kampf mit Schmonzetten-Konventionen rund um das Thema Familie, welches sich so unvorhergesehen wie unnötig in den Vordergrund drängt, von der technologischen Debatte ablenkt und die analytische Schärfe aus der Zivilisationskritik nimmt – damit zugleich das intellektuelle Fundament der Serie untergrabend. Es ist ein Jammer! Kein Wunder, dass HBO keine Fortsetzung mehr in Auftrag gegeben hat. Wo ein »Bang!« hätte ertönen sollen, ist grade mal ein »Whimper . . .« zu vernehmen.


Westworld Staffel 4, USA 2022 R: Jonathan Nolan, Lisa Joy. Da: Evan Rachel Wood, Thandiwe Newton. Anbieter: Warner Home Entertainment.

VÖ: 8. Dezember 2022

Bestellmöglichkeit (DVD/Blu-ray)


 

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