Netflix: »Beef«

»Beef« (Serie, 2023). © Andrew Cooper / Netflix

»Beef« (Serie, 2023). © Andrew Cooper / Netflix

Die Wut genießen

Beim Zurücksetzen aus der Parklücke wird Danny (Steven Yeun) unverhofft von einem weißen SUV angehupt. Unverschämtheit. Wer könnte so etwas auf sich sitzen lassen? Im Nu ist eine wüste Autojagd in Gang, quer durch die Stadt, über rote Ampeln und Blumenbeete. Doch Dany hat das Nachsehen. Amy (Ali Wong), die Fahrerin des protzigen Geländewagens, zeigt ihrem Verfolger genüsslich den Stinkefinger und braust von dannen.

Der Stachel sitzt tief. Und so bildet die zufällige Begegnung auf dem Supermarktparkplatz den Auftakt zu abenteuerlichen schicksalhaften Verflechtungen, die in dieser Netflix-Serie sehenswert aufgefächert werden. Entworfen wurde der furiose Zehnteiler von Lee Sung Jin, einem vielbeschäftigten Showrunner, der dank der fantasievollen Anime-Geschichte »Undone« noch in guter Erinnerung ist.

Der wilde Auftakt seiner neuen Serie deutet auf eine typische romantische Komödie hin. Zwei Streithähne, die es lieben, sich zu hassen, überwinden ihre Aversionen. Und am Ende siegt die Liebe. Lee Sung Jin hat jedoch etwas ganz anderes im Sinn. Der in Seoul geborene Autor knüpft an die Tradition koreanischer Serien wie »Mystic Pop-up Bar« oder »Hometown Cha-Cha-Cha« an. Verdrehte – aber stets durchdachte – Geschichten entführen den Betrachter traumwandlerisch sicher in ein erzählerisches Labyrinth aus komplex verschachtelten Familiendramen.

Diese Qualität hat auch »Beef«. Die Serie ist zwar eine amerikanische Produktion. Doch der Schauplatz Los Angeles fungiert eher als neutraler Hintergrund. Vor allem die fast durchgehende Besetzung mit asiatischen Darstellern setzt eigene Akzente. Die Serie wirft einen ungewöhnlich differenzierten Blick auf jene Migranten, die in den USA neben Latinos und Afroamerikanern die wohl größte ethnische Gruppe bilden.

Die von der Komikerin Ali Wong verkörperte Geschäftsfrau Amy scheint eine Bilderbuchmigrantin zu sein. Aus eigener Kraft hat sie eine angesagte Pflanzenboutique aufgebaut. Ihr Plan ist es, den Laden gewinnbringend an eine Milliardärin zu verkaufen und sich zurückzuziehen. Das Problem ist ihr Mann George (Joseph Lee). Die aufstiegsorientierte Tochter vietnamesisch-chinesischer Eltern hat ihn eigentlich nur deswegen geheiratet, weil er als Japaner sozial über ihr steht. Wirtschaftlich hat Amy die Hosen an. George ist nicht nur ein miserabler Bildhauer, mehr oder weniger ungewollt torpediert er auch all ihre Bemühungen. Und erwartet von seiner Gattin, dass sie ihre Aggressionen mit zenbuddhistischer Souveränität unterdrückt.

Kein Wunder, dass die umtriebige Geschäftsfrau am Steuer ausrastet und einen wildfremden Menschen provoziert. Der freiberufliche Handwerker Danny steht ebenso unter Druck wie Amy. Er will seine Eltern in die USA zurückholen, die sie nach dem Konkurs ihrer Pension verlassen mussten. Doch was immer Danny anfasst, geht schief. Nicht weil die Gesellschaft ihm übel mitspielt, sondern weil er ein gnadenloser Pfuscher ist. Mit tollpatschiger Verschlagenheit rutscht er von einem Schlamassel ins nächste.

Die Wege der beiden Streithähne kreuzen sich immer wieder. Von diesen Begegnungen, bei denen auch soziale Netzwerke eine Schlüsselrolle spielen, erzählt die Serie mit Witz und pointierten Dialogen. Wut, so Amys blasierter Gatte, sei ja »nur ein vorübergehender Bewusstseinszustand«. Von wegen. Der in surreale Dimensionen sich hochschraubende Kleinkrieg, den Amy mit dem verkrachten Handwerker ausficht, zeigt: Das Ausleben eines Affekts kann ungemein lustvoll sein.

Zu einem Erlebnis wird der Zehnteiler, weil auch die zahlreichen Nebenfiguren (in der Rolle der manipulativen Milliardärin Jordan etwa ganz wunderbar: Maria Bello) liebevoll durchschattiert sind. Selten wird die Situation asiatischer Migranten in den USA mit solch feinem Pinselstrich gezeichnet. Wenn Danny in seiner koreanischen Kirchengemeinde losrockt, dann braucht sich sein fetziger Sound nicht hinter einem schwarzen Gospelchor zu verstecken. »To have a beef with somebody« steht im Amerikanischen übrigens für »ein Problem mit jemand haben«.

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