Amazon: »The Lost Flowers of Alice Hart«

»The Lost Flowers of Alice Hart« (Serie, 2023). © Amazon Studios

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Stachelexotik

Dass Sigourney Weaver Schläge einstecken und austeilen kann, bewies sie bereits in den »Alien«-Filmen. Als graue Eminenz dieser australischen Serie verkörpert die nun 73-Jährige erneut eine charismatische Amazone. Plantagenbesitzerin June wacht mit Cowboyhut und Gewehr über mehrere Frauen, die sich auf ihrer abgeschiedenen Wildblumenfarm vor ihren gewalttätigen Männern verstecken. Auch ihre neunjährige Enkelin wächst unter der Fuchtel eines Vaters auf, der sie küsst und schlägt. Als Überlebende eines mysteriösen Brandes, bei dem die Eltern sterben, wird die traumatisierte Alice von ihrer bis dato unbekannten Großmutter auf die Farm gebracht.

Alices Vater Clem war Junes Sohn. Was ist in dieser Familie bloß los? Alice versucht, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, doch June mauert. Nach einem Zeitsprung von zehn Jahren haut Alice ab, nur um scheinbar jenem Fluch anheimzufallen, vor dem June sie bewahren wollte.

Dass diese weit ausholende Saga auf einem Roman basiert, ist bereits in den ersten Sekunden spürbar. Die Handlung wird verlangsamt durch Tagträume, in denen Alice etwa ihre tote Mutter Agnes sieht. Das viel lesende Mädchen findet Trost in einer Fabel, indem es die Mutter als Menschenrobbe, die ins Meer zurückgekehrt ist, interpretiert. Die Kommune auf Junes Farm hat einen esoterisch-hexenhaften Touch, wirkt zugleich heimelig und unheimlich. Im nahen Städtchen sind die Frauen, besonders die schroffe June, die seit langem mit ihrer von Aborigines abstammenden Partnerin Twig lebt, nicht gut gelitten. Doch wie der Farmbetrieb, in dem die Frauen in Treibhäusern und Gärten geruhsam vor sich hinwerkeln, wirtschaftlich überlebt, wird nie zum Thema.

Kurz: Wir befinden uns in einem Frauenmelodram, das sich seinen Namen auf geradezu altmodische Weise verdient. Männer sind hier Verlockung und tödliche Bedrohung. Wie zuletzt im Kinofilm »Der Gesang der Flusskrebse« wird weibliches Außenseiterdasein mit mystischer Naturverbundenheit kurzgeschlossen, sind die von den Besitzerinnen gezeichneten Blumen – stachelig-alienhafte australische Flora – Metaphern für Charaktere, Gefühle und Botschaften. Zwar bleibt die familiäre Blumenbilderchronik, als Geheimsprache bezeichnet, pittoresker Dekor. Auch der Fluch entpuppt sich als weniger dramatisch als angekündigt. Doch die Serie beweist mit ihrem virtuos inszenierten märchenhaft-mystischen Überbau einmal mehr, dass es in Filmen weniger auf Handlung ankommt als auf Atmosphäre und Darsteller, die einen in Bann ziehen. Die fremdartige Natur in Down Under, mal tropisch grün, mal rote Wüste – gedreht in New South Wales und Alice Springs – fesselt ebenso wie Häuser und Interieurs, die, obwohl in unserer Handy-Epoche angesiedelt, der Zeit enthoben scheinen. Motor dieser verschlungenen Geschichten ist Sigourney Weaver als undurchschaubare June, mal gute Fee, mal Ausbund atemberaubender Hinterlist, auf jeden Fall aber die stacheligste und imposanteste Blüte im Strauß.

OV-Trailer

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