Sky: »Souls«

»Souls« (Serie, 2022). © Sky Deutschland/Geißendörfer Pictures/Nik Konietzny

»Souls« (Serie, 2022). © Sky Deutschland/Geißendörfer Pictures/Nik Konietzny

Anfangs wähnt man sich in einer Variante von »Und täglich grüßt das Murmeltier«: in Stockholm durchlebt die Pathologin Allie denselben Tag immer wieder, gespeist aus einer Schuld, ihr Ehemann, der Pilot Leo, ist beim Absturz seiner Maschine ums Leben gekommen. Allie hatte eine Vorahnung, im letzten Augenblick, als die Maschine schon abflugbereit war, hat sie doch noch versucht, ihn zu warnen – vergeblich. Jetzt ist sie allein mit ihrer noch ungeborenen Tochter.

Fünfzehn Jahre später wird in einem kleinen Ort eine Gedenkfeier für die Opfer von Flug 2205 vorbereitet, denn damals war der gesamte Schulchor an Bord der Maschine. Zu den Schülern der Schule gehört auch der 14jährige Jacob, der sich und seine Mutter Hanna nach einem Autounfall aus dem Wasser gerettet hat. Seitdem behauptet der 14-Jährige: »Ich habe schon einmal gelebt, mein Name war Leo, ich war der Pilot von Flug 2205«. Als er das auch bei der Generalprobe für die Gedenkfeier wiederholt, erntet er heftigen Protest und handelt sich den Vorwurf ein, er wolle das Andenken an die Opfer beschmutzen. Diese sind nicht nur Opfer, sondern Helden. Denn die offizielle Version für den Absturz lautet: auf der Passagierliste befanden sich die Namen zweier Personen mit terroristischem Hintergrund, die Passagiere hätten die Entführung der Maschine verhindern wollen und die beiden angegriffen, das aber mit ihrem Leben bezahlt.

Noch eine dritte Geschichte erzählt die Serie, sie beginnt erst später: die von Linn, einer 25jährigen Frau, die sich einer Sekte anschließt, deren Leiter Sebastian einen Einblick in das Leben nach dem Tode verspricht, eine Reinkarnation, die die Menschen mit ihren verstorbenen Angehörigen wieder vereinen könnte. Linn ist hier, um ihre schwerkranke Mutter zu retten, aber ihr Verhalten legt nahe, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. 

Drei Frauen, drei Geschichten, drei Zeitebenen. Der Film wechselt zwischen ihnen hin und her, Stück für Stück werden Verbindungen sichtbar, ebenso aber auch neue Rätsel in den Raum gestellt. Was hat die Auseinandersetzung zwischen Hanna und ihrem Ex-Mann Vincent damit zu tun? Hat die Trennung der Eltern den Sohn traumatisiert, liegt darin die Ursache für seine wiederholte Behauptung, er sei der Pilot von Flug 2205? Beide Eltern reden Jacob immer weder ins Gewissen, dass er wegkommen müsse von seiner Erzählung. Aber was, wenn Hanna Vincent eines Tages gesteht, Jacob hätte im Schlaf immer wieder dieselben Worte gesprochen – auf Schwedisch?

Blieb in »Hausen«, der vorangegangenen Mystery-Serie des Pay-TV-Senders Sky, der Schauplatz von Anfang bis Ende auf einen einzigen Ort, einen Wohnkomplex, beschränkt, der für den neu angekommenen Hausmeister und seinen Sohn gleichwohl immer neue Überraschungen bereithielt (bis zu einem im wahrsten Sinne des Wortes abgehobenen Ende), so macht »Souls« mit seinen drei Geschichten und drei Zeitebenen von vornherein klar, dass es um Größeres geht, um Leben und Tod und die Frage nach dem Weiterleben nach dem Tod – dass man allerdings mit den wiederkehrenden Einblendungen 'Vergangenheit', 'Gegenwart' und 'Zukunft' dem Zuschauer offenbar nicht zutraut, das selber zu bemerken, will so gar nicht zu diesem kühnen Entwurf passen. Dabei gelingt es der Serie, durch spannende Nebenfiguren das Interesse am Fortgang der Geschehnisse zu wahren – was für alle Zuschauer, die nicht an Reinkarnation glauben, auch notwendig ist. Das betrifft vor allem die Geschichte von Hanna und Jacob, hier funktioniert es bei der Figur einer Mitschülerin des Jungen, die zunehmend wichtiger für ihn wird und am Ende, also 15 Jahre nach der Gedenkfeier, eine zentrale Rolle in seinem Leben spielt. Dagegen atmet die Geschichte von Hanna, die nach der Trennung von ihrem Mann (infolge von Alkoholmissbrauch und häuslicher Gewalt) jetzt eine Beziehung zu einer Frau hat, einer nichtweißen Polizistin, einen Hauch von political correctness, weil sie so gar nicht vertieft wird. 

Gelungen ist dagegen die Figur des Sektenführers Sebastian, der nicht unserem üblichen Bild von einem Guru entspricht, sondern als gebrochener Mann (nicht nur äußerlich, weil er sich auf einen Stock stützen muss) skizziert wird. Das bleibt mehr hängen als die Rituale, eines davon unter Drogeneinfluss, die hier praktiziert werden, um den Willen der Menschen zu brechen. Auch erleben wir in der mittleren Zeitebene Sebastian als einen anderen Mann: an einen Rollstuhl gefesselt, mit Zottelbart und -Haaren, wirkt er selber ähnlich verwirrt wie Jacob. Er sei der Dispatcher von Flug 2205 gewesen, verkündet er: er hätte bis zuletzt Funkkontakt mit dem Piloten gehabt und sei deshalb in der Lage, Jacobs Behauptung zu verifizieren oder aber ihn der Lüge zu überführen. Wie der Autounfall, den Jacob und seine Mutter hatten und bei dem Sebastian plötzlich auftaucht, und zum anderen sein Selbstmordversuch, bei dem ihn Jacob rettet, miteinander zusammenhängen, bleibt offen. Da verlangt die Serie vom Zuschauer einfach: zu glauben, an das Schicksal. Serienschöpfer Alex Eslam (der auch bei sechs der acht Episoden Regie geführt hat) verlangt dem Zuschauer einiges ab, im positiven wie im negativen Sinne. Das Ende scheint relativ eindeutig, aber doch mit einem leisen Zweifel behaftet, verständlicherweise, schließlich will man diejenigen Zuschauer, die nichts für Reinkarnation übrig haben, aber trotzdem durchhielten, nicht vor den Kopf stoßen. Man muss der Serie allerdings zugute halten, dass sie auch eine allgemeinere Auseinandersetzung zum Umgang mit der Vergangenheit bietet: wenn Allie ihre Erfahrungen in einem Roman verarbeitet, als eine Art von Traumabewältigung, und wenn in der letzten Folge die Frage aufgeworfen wird, ob man andere belügen darf, damit man selber seinen eigenen Frieden mit der Vergangenheit schließen kann.

Unbestreitbar an »Souls« ist das eindrucksvolle Spiel der Darsteller, allen voran Julia Koschitz, die ihre sonstige Kurzhaarfrisur opferte, um die Allie auf allen drei Zeitebenen, also über einen Zeitraum von dreißig Jahren, verkörpern zu können. Das ist preiswürdig, beim Festival Canneseries wurde »Souls« bereits zweifach ausgezeichnet, für das beste Drehbuch und für die beste Musik (Dascha Dauenhauer).

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