Netflix: »The Andy Warhol Diaries«

»The Andy Warhol Diaries« (Miniserie, 2022). © Andy Warhol Foundation/Netflix

© Andy Warhol Foundation/Netflix

»Ich wäre gern eine Maschine«

Kein anderer hat das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit mehr auf den Punkt gebracht. In seiner »Factory« stellten Assistenten Werke am Fließband her. Dieser seriellen Produktionsweise hätte der Künstler sich am liebsten auch selbst anverwandelt: »Ich wäre gern eine Maschine«, sagt Andy Warhol einmal. »Maschinen haben weniger Probleme.«

Die Netflix-Serie »The Andy Warhol Diaries« hätte ihm geschmeichelt. Basierend auf den 1989 posthum erschienenen Tagebüchern, die Warhol tagtäglich seiner Sekretärin Pat Hackett am Telefon diktierte, wirft die Dokuserie aufschlussreiche Blicke auf das Privatleben des Peter Pans der Pop-Art. Vor allem die Machart des Sechsteilers entspricht dem Geist Warhols. So wird die Stimme des 1987 gestorbenen Künstlers von einer Audio-KI täuschend echt gefakt: Warhol hat sich tatsächlich in eine Maschine verwandelt.

Das Medium Film spielte bekanntlich eine Schlüsselrolle für ihn, weshalb auch im Alltag die Kamera nur selten abgeschaltet wurde. Durch die Verknüpfung mit den »selbst gesprochenen« Tagebüchern erweckt die überbordende Fülle von Archivfilmen den Eindruck, als würde Warhol nun auch sein Privatleben endgültig zur Kunst der Oberfläche erheben.

Dabei konzentriert sich die sechsteilige Reihe auf die bislang weniger bekannte Phase nach 1976. Also jene Epoche, in der Kritiker ihm vorwarfen, er würde den inflationären Ausverkauf seiner Kunst praktizieren. Angeblich war Warhol asexuell, ein von ihm selbst befeuertes Gerücht. Die »Diaries« dagegen beleuchten langjährige Beziehungen des schwulen Mannes.

Aufschlussreich ist das Kapitel über den ästhetischen Dialog mit dem Graffiti-Maler Jean-Michel Basquiat. Als erster Afroamerikaner schaffte er den Durchbruch in der US-amerikanischen Kunstwelt. Trotzdem verunglimpfte die Kritik ihn seinerzeit als »Warhols Maskottchen«. Die Tagebücher lassen erahnen, wie sehr Basquiat den zu dieser Zeit ausgebrannten Pop-Art-Guru tatsächlich inspirierte.

Die Dokuserie führt vor Augen, wie der Künstler im Bemühen, sich beständig neu zu erfinden, seine Fühler überallhin ausstreckte. Selbst das Schaulaufen der Prominenten im »Studio 54« machte er nutzbar, um die Marke Warhol permanent zu promoten. Ein Werbeauftritt für den Comodore Amiga PC von 1985 – bei dem er mit einem Zeichenprogramm ein Porträt von Deborah Harry entwirft – lässt erahnen, was Warhol wohl mit der Digitalisierung angefangen hätte.

Zu Wort kommen neben Pat Hackett, der Herausgeberin der »Diaries«, Freunde und Kollegen wie der Künstler Julian Schnabel oder der Filmemacher John Waters. Nicht nötig gewesen wären angesichts dieser Materialfülle jene Reenactment-Szenen, in denen der Schauspieler Bill Irwin in die Rolle des von Selbstzweifeln geplagten Mannes mit der Silberperücke schlüpft.

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