MagentaTV: »Time«

»Time« (Miniserie, 2021). © MagentaTV/BBC Studios/Matt Squire/James Stack

© MagentaTV/BBC Studios/Matt Squire/James Stack

Die Hackordnung des Systems

»Wer ist zum ersten Mal da?«, fragt Gefängniswärter Eric McNully in die Runde der Neuankömmlinge. »Ich, Boss«, erwidert Mark Cobden. Später will sein Zellengenosse wissen, weshalb er hier sei, und er gesteht: »Ich habe einen Menschen getötet.« Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn unter den Gewaltverbrechern, die hier mit ihm eingesperrt sind, wirkt Mark wie ein Lamm unter reißenden Wölfen. Er ist kein Verbrecher im klassischen Sinn, sondern Lehrer, Ehemann und Vater mit einem Alkoholproblem, durch das er den Tod eines Menschen verschuldet hat. Vor Gericht hat er keinerlei mildernde Umstände reklamiert, er will Buße tun, für eine Tat, deren Bilder ihn Tag und Nacht in aggressiven Erinnerungsblitzen heimsuchen. Sean Bean spielt das enorme Gewicht, das auf diesem Mann lastet, mit stoischem Minimalismus.

Time. Doing time. Zeit, die man im Gefängnis absitzt. Tage, die verrinnen: Tag 1, Tag 4, Tag 20, Tag 63... und so weiter. Eric und Mark sind zwei Seiten des Strafvollzugs, dessen Unzulänglichkeiten hier nicht zum ersten Mal thematisiert werden. Beide haben die besten Absichten, wollen ehrenhaft bleiben und die Regeln befolgen, werden vom System aber so unter Druck gesetzt, dass ihr moralischer Kompass ins Zittern gerät. Als Zuschauer lernt man die fremde Welt zusammen mit Mark kennen, der als aufrechter, großer Mann nicht wie der klassische Fußabtreter im Gefängnisalltag erscheint und doch keine Chance hat, in der Hackordnung des Systems, gegen gewalttätige Bullies und gegen den unscheinbaren Paten und seine Schläger, die das Geschäft mit Zigaretten, Drogen, Waffen und Handys organisieren. Und weil deren Einfluss das ganze britische Gefängnissystem durchsetzt, ist auch Eric zum Kooperieren gezwungen, wenn er nicht das Leben seines Sohnes aufs Spiel setzen will, der in einem anderen Gefängnis eine Strafe absitzt. Auch sein unlösbares Dilemma wird im zurückgenommenen Spiel von Stephen Graham schmerzlich spürbar.

Drehbuchautor Jimmy McGovern hat in den frühen 90er Jahren mit dem Kriminalpsychologen Dr. Edward Fitzgerald in der Serie »Für alle Fälle Fitz« den Typus des Profilers fürs Fernsehen erschlossen. Fitz war kein sauberer Ermittler, sondern ein übergewichtig schnaufender, kettenrauchender, saufender, depressiver Typ, der sich in die Abgründe des Verbrechens vertieft und seine Ergebnisse mit unkonventionellen Methoden aus dem Sumpf holt. Mit Fragen von Schuld und Vergebung hat sich McGovern seitdem in Serien wie »The Street«, »Accused« und »Broken« (ebenfalls mit Sean Bean in der Hauptrolle) immer wieder beschäftigt. In »Time« dehnt er die bekannten Muster des Gefängnisfilms und zeichnet ein schmerzhaft beklemmendes Bild der Ausweglosigkeit, in der eine harmlose Socke mit zwei Billardkugeln und kochendes Wasser mit Zucker höchste Alarmbereitschaft bedeuten und das Licht kleiner Gesten der Menschlichkeit, wie die Einfühlsamkeit einer kirchlichen Sozialarbeiterin oder die Fairness eines Gefängniswärters, kaum Leuchtkraft entwickelt.

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