Ausstellung: »Im Tiefenrausch. Film unter Wasser«

Foto: Elianne Dipp

Foto: Elianne Dipp

Nie wieder auftauchen

Es gibt tatsächlich einen Tiefenrausch. Jenes Gefühl, das gleichermaßen Stress wie Glückshormone produziert, in der Tiefe des Meeres entsteht und dazu führt, dass man entweder in eine Art Panik verfällt, nie wieder auftauchen zu können, oder eben das genaue Gegenteil hervorruft, den Wunsch, nie wieder auftauchen zu müssen. Auch hier liegen, wie so oft, Glück und Grauen wahnhaft eng beieinander. Der Titel ist Programm, denn die Ausstellung »Tiefenrausch« will weniger informieren als immersiv ein Gefühl erzeugen. Sie versetzt den Besucher in den Zustand unmittelbarer Erfahrung. Das beginnt ganz klein und nebenbei bereits auf der Treppe. Dort zeigt ein Bildschirm, dass man nur noch sechs Höhenmeter zu überwinden hat, um auf- bzw. einzutauchen in die fiktionale Welt unter Wasser. Und diese Fiktion beginnt, auch das keine Ausnahme, in der Wirklichkeit. Denn die Methoden und auch die Technik wurden nicht für den Spielfilm, sondern für die Unterwasserdokumentationen von Jacques-Yves Cousteau oder Hans Hass entwickelt. Ohne ihre Vorarbeit wäre ein Film wie The Abyss von James Cameron, der nahezu ausschließlich unter Wasser spielt, nicht möglich gewesen. Cameron war von der Unterwasserwelt besessen. Er habe »Titanic« nur gedreht, erfährt man in den Online-Informationen zur Ausstellung, weil er zu dem Wrack des Schiffes hinabtauchen wollte. Das musste 20th Century Fox ihm finanzieren. Der Dokumentarfilm, der daraus entstand, hat ungleich weniger Aufsehen erregt als der fulminant inszenierte Untergang der Titanic.

Wenn der Besucher dann oben angekommen ist, die Bildschirmaquarien betrachtet und in den dunklen, angenehm kühlen Raum eingetreten ist, kann er mit Fischen, Meerjungfrauen und Tiefseemonstern schwimmen. Die Schrifttafeln sind leicht verschwommen gehalten, der glatte, eigens verlegte Tanzboden vermittelt ein Gefühl von spiegelnder Nässe, und man hört es rauschen, plätschern und tosen. Aber man verliert sich nicht. Wenn man darauf aus ist zu erfahren, in welchen Genres und Produktionen das Wasser eine tragende Rolle spielt, kann man das an den Außenwänden entlang der Informationsbildschirme mit Filmausschnitten aus über 300 Filmen tun. Dann erfährt man von Freundschaft und Freiheit, von Paaridyllen und Poolerotik, von Menschen und Monstern, Träumen, Kämpfen und vor allem der widersprüchlichen Eigenschaft des Wassers, das wir zum Leben brauchen, das uns aber leicht auch töten kann. In zielführender Zusammenarbeit mit dem Senckenberg-Museum, gemeinsam geplanten Film- und Vortragsreihen, konzentriert sich Kurator Michael Kinzer auf die Welt unter der Oberfläche, und zwar überall, nicht nur in Flüssen und im Meer, sondern auch in der Badewanne oder im Pool. Dazu hat er ein etwa einstündiges Filmreel hergestellt, das auf eine Leinwandrotunde im Zentrum der Ausstellung projiziert wird. Hier kann man auf bequemen Sitzkissen dümpeln in dieser Welt unter Wasser, die manchmal, wie in dem Film »La feé« von dem belgisch-französisch-kanadischen Perfomancetrio Dominique Abel, Fiona Gordon und Bruno Romy in Anlehnung an die Stummfilmzeit sichtbar ohne Wasser gedreht ist oder hoch artifiziell in eigenen Pools wie in Across the Universe von Julie Taymor. »The Creature from the Black Lagoon« ist hier ebenso zu sehen wie »Der weiße Hai«, »Das Boot« oder »Der Schaum der Tage«, der eine ganze Gesellschaft unter Wasser inszeniert; dazu kommen Animationsfilme und -serien wie »Yellow Submarine«, Spongebob und Disneys »Arielle«. Man tut aber gut da­ran, sich einfach auf die wunderbar choreografierten Bilder zu konzentrieren und nicht auf die jeweiligen Titel der Filme zu achten, aus denen die Ausschnitte stammen. Dann kann man erleben, was Angst und Freiheit unter Wasser ausmachen. Apropos Angst: Es gibt auch einen Raum für Hartgesottene. Der explizite Horror ist nichts für jeden, und doch findet sich in diesem Kabinett ab 16 Jahren eins der schönsten Bilder – das einer nackten Frau auf dem Meeresboden, mit ausgestreckten Armen, im Gesicht einen Blick, der den Widerspruch von Glück und Grauen widerspiegelt. 

Bis 8. Januar 2023

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt