Filmtipp: »Her Smell«

englisch © Voltage Pictures

Schweiß, Zigaretten und abgestandenes Bier

Was genau der Duft ist, auf den der Titel des Films, »Her Smell«, anspielt, wird nie explizit erwähnt, aber man kann es sich in etwa vorstellen: Wenn Filme Geruch hätten, würde dieser nach Schweiß, Zigarettenrauch und verkipptem Bier riechen. Perrys mittlerweile sechster Film als Regisseur und Autor reiht sich ein in das Genre der »Rock Flicks«, das sind Filme, die sich mit dem turbulenten Leben erfundener und realer Rockmusiker beschäftigen. Anders aber als in Klassikern wie »This Is Spinal Tap« und »Almost Famous« wird der exzessive Lebensstil hier weder parodiert noch glorifiziert: »Her Smell« erzählt den Aufstieg und Fall der fiktiven Punkband »Something Female« als tragisches Scheitern einer Frauenfreundschaft in einer Aneinanderreihung eskalierender Backstage-Szenen. Im Mittelpunkt steht dabei Elisabeth Moss (»Mad Men«, »The Handmaid's Tale«) als Frontfrau Becky Something, die mit ihrer extrovertierten Performance ein Meisterstück abliefert.

Perry hat Moss bereits in seinem Psycho-Kammerspiel »Queen of Earth« grandios als schizophrene Tyrannin in Szene gesetzt. Für »Her Smell« hat er ihr eine ähnlich ex­treme Rolle auf den Leib geschrieben: Becky Something ist eine laute, selbstzentrierte, zynische Künstlerin mit Hang zum Drama, die aus ihrer Verachtung für alles und jeden keinen Hehl macht. Diese Attitüde vermag sie aber gekonnt in eingängige Punksongs zu übersetzen, die ihrer Band Goldene Schallplatten und Titelfotos auf einschlägigen Magazinen einbringen. Aber zwischen Bühnenfigur und echtem Leben kann Becky kaum mehr unterscheiden: Zunehmend hetzt sie Bandmitglieder, Manager und Verwandte mit ihrem launischen Verhalten gegen sich auf, verfällt Kokain und Alkohol.

»Her Smell« verweigert sich klassischer Erzählmuster und folgt stattdessen der Struktur von Filmen wie etwa Danny Boyles »Steve Jobs«: Fünf lange Szenen beleuchten jeweils einen Abschnitt aus Beckys Leben und vollziehen so ihre Karriere exemplarisch nach. Wie das von Aaron Sorkin geschriebene Porträt des Apple-Gründers lebt auch »Her Smell« dabei von den messerscharfen, rasant schnellen Dialogen, die sich die Protagonisten gegenseitig um die Ohren hauen. Da sind vor allem die beiden Bandmitglieder Marielle (Agyness Deyn) und Ali (Gayle Rankin), die immer wieder versuchen, Becky bei Laune zu halten; aber auch Manager Howard (Eric Stoltz), der nach und nach an den Stimmungsschwankungen seines Stars verzweifelt; und die Nachwuchspunkerin Cassie (Cara Delevingne), die Becky zunächst anhimmelt, aber zusehends den Glauben an ihr Idol verliert.

Regisseur Perry hat ein hervorragendes Ensemble zusammengestellt, ohne das der stellenweise etwas theaterhafte Film nicht so gut hätte funktionieren können. Elisabeth Moss aber sticht klar aus dem Cast hervor: Sie schreit, schmeichelt, spottet, fleht, lacht, spuckt, singt, raucht und schimpft – alles oft innerhalb weniger Minuten. Trotzdem überschreitet sie nie die Grenze zum Overacting: Becky ist kein Monster – das machen schon die kurzen Rückblicke auf die glücklichen Anfangstage der Band deutlich –, sondern vermag den plötzlichen Ruhm mit der rebellischen Attitüde ihrer Kunst einfach nicht in Einklang zu bringen. So erinnert sie vor allem an eine andere problematische Diva der Filmgeschichte: Gena Rowlands jähzornige Schauspielerin Myrtle in John Cassavettes Meisterwerk »Opening Night« war zweifellos eine Inspiration für »Her Smell«.

Wenn etwas in »Her Smell« zu kurz kommt, dann ist es die Musik: Leider bekommen wir hauptsächlich Coverversionen zu hören – von The Only Ones' »Another Girl Another Planet« bis hin zu Bryan Adams »Heaven« – und die wenigen für den Film geschriebenen Songs kommen nicht recht zur Geltung. Davon abgesehen aber erzeugt der Film einen überzeugenden musikalischen Kosmos, was vor allem dem detailverliebten Produktionsdesign zu verdanken ist: vom abgeranzten Studio-Setting bis zu den im Abspann präsentierten Albumcovern passt hier alles perfekt.

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