Trendet voll: lineares Fernsehen

»Eine schrecklich nette Familie« (Serie, 1987–1997)

»Eine schrecklich nette Familie« (Serie, 1987–1997)

Unsere "steile These" des Monats Dezember

Erleichterung, es geht wieder: Bügeln vorm Fernseher. Zunächst mal in Frankreich; da hat Netflix eine neue Schiene eingeführt: klassisches lineares Programm, rund um die Uhr, nicht zu anspruchsvoll, so dass es auch funktioniert, wenn man eine Weile nur hinhört. Die Zuschauer, heißt es, seien überfordert vom Angebot der Streaminggiganten. Zu komplex womöglich? Wenn man bei »Ozark« oder »Stranger Things« öfter wegschaut, kann es einen tatsächlich schon mal aus der Plotkurve schleudern. Das Hauptproblem scheint aber zu sein: Es gibt zu viel von allem. Und der Zuschauer will sich nicht alle 30 oder 60 Minuten neu entscheiden müssen. Die Leute switchen von Disney zu Amazon zu Netflix, setzen hier was auf die Watchlist, schauen da rein . . . Am Ende geben sie entnervt auf. Und lassen koreanische Webserien auf YouTube laufen, während sie ihr Steuerformular ausfüllen, oder legen alte Al-Bundy-DVDs ein, um 90-er-Jahre-Vorabendfernsehen zu simulieren. 

Millionen Nutzer hat das lineare Fernsehen in den letzten Jahren an die Streamer verloren; es galt praktisch als abgemeldet. Und jetzt soll es plötzlich wieder interessant werden? Der Versuch von Netflix, den Zuschauer an einen Kanal zu binden, hat sicher etwas damit zu tun, dass der Streamingmarkt explodiert, die Konkurrenz härter geworden ist. Aber vielleicht wurde der eigenartige Charme des Normalfernsehens unterschätzt. Könnte zum Beispiel sein, dass der Zuschauer nach Jahren des hoch emotionalen Bingewatchings aufregender Premiumshows den Vorsitz im Aufmerksamkeitsmanagement zurückgewinnen will. Einfach mal ein Bier holen oder ein Brötchen schmieren, während die Sendung läuft, ist ja auch ein Stück Freiheit. Und wieso hatte Marshall McLuhan das seinerzeit krümelige Fernsehen unter die »kalten« Medien gerechnet, die Eigeninitiative vom Nutzer verlangen, den visuell hochwertigeren Film aber unter die passiven? Große Fragen stellen sich da, nicht nur medientheoretisch. Würde ich zum Beispiel mein Netflix-Abo für ein lineares Programm wieder aktivieren? Müsste überlegen, vielleicht, wenn ich Mubi abmelde . . . und mit »The Boys« durch bin . . . Sorry, kann mich nicht entscheiden.

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