Nahaufnahme von Peter Capaldi

Der gute und der böse Doctor
Peter Capaldi in »Doctor Who« (2005)

Peter Capaldi in »Doctor Who« (2005)

Peter Capaldi rettete als Dr. Who so manches Mal die Menschheit, für die er als Spin-Doctor Malcolm Tucker nur Verachtung übrig hatte. Nun spielt er in Armando Iannuccis Neuadaption des Dickens-Romans »David Copperfield« den überschuldeten Schnorrer Mr. Micawber 

»Dieses Gesicht. Diese Stimme. Sobald er eine Figur spielt, kann man sich niemand anderen mehr in der Rolle vorstellen. Wirklich ein einzigartiger Typ, und wie man so hört, dazu noch ein wirklich guter Mensch.« Diese kleine Lobeshymne war nur eine von vielen, die beim »Guardian« einging, als 2017 bekannt wurde, dass Peter Capaldi nach drei Staffeln die Serie »Dr. Who« wieder verlassen würde. Dass die Darsteller der Titelrolle dieser mit Unterbrechungen seit 1963 auf Sendung befindlichen Serie in regelmäßigen Abständen erneuert werden, gehört zum Genre. Dass der Wechsel von einem »Doctor« zum anderen mit Trauergefühlen bei den Fans verbunden ist, ebenso. Aber Capaldis Auftritt, bei dem er in seiner ihm eigenen trockenen, ja fast hölzernen Art Wohlwollen und Güte als Handlungsmaxime des Doctor herausstellte, erschien nicht nur den Fans, sondern sogar dem (Neu-)Schöpfer der Serie, Steven Moffat, als ideal: »Ein echtes Solo kann man nur von einem Virtuosen erwarten, also: Gott und Schottland sei dank für Peter Capaldi.«

Die dicken Lobeshymnen stehen in einem gewissen Kontrast zur Tatsache, dass hierzulande, wo »Dr. Who« es auch nach über 50 Jahren nicht zu großer Popularität gebracht hat, der Name Capaldi nur wenigen etwas sagt. 1983, als er in Bill Forsyths legendärem »Local Hero« seine erste Kinorolle spielte, sah das noch ganz anders aus; dem damals 25-Jährigen, der gegenüber dem zynischen Amerikaner Peter Riegert den jungen, naiven schottischen Vor-Ort-Firmenmenschen gibt, hätte man sofort eine große Kinokarriere zugetraut. Da war der überraschende Charme, den er seiner im Grunde als Unsympathen geschriebenen Rolle abgewinnen konnte. Das Quäntchen Wahnsinn, das aufblitzt, wenn sein Danny Oldsen geradezu willig akzeptiert, dass es sich bei seinem love interest, der Meeresbiologin Marina, vielleicht um eine waschechte Nixe handeln könnte, ließ Capaldi für weitere RomComs prädestiniert erscheinen. Aber es kam dann doch ganz anders.

Zwar gab es immer mal wieder die eine oder andere markante Nebenrolle für Capaldi – von Azolan, dem Diener von John Malkovichs Valmont in Stephen Frears »Gefährliche Liebschaften« (1988), bis zum grantigen Nachbar Mr. Curry jüngst in »Paddington« 1 und 2. Aber im Wesentlichen spielte sich Capaldis Schauspielkarriere bis heute vor allem im britischen Fernsehen ab.

Die bekannteste seiner Fernsehrollen vor »Dr. Who« war dabei ein anderer »Doctor«, die des »Spin Doctors« Malcolm Tucker in Armando Iannuccis Polit-Satire »The Thick of It« (bei uns überflüssigerweise mit dem Beititel »Der Intrigantenstadl« versehen), die in vier Staffeln von 2005 bis 2012 neue Maßstäbe setzte, was das Spiegelungsverhältnis von Satire und Realität anging. Das Ministerium, das im Mittelpunkt der Handlung stand, war zwar fiktiv, doch die Abläufe im Politikprozess, die die Serie abbildete, wirkten in ihrer Peinlichkeit und Pannenhaftigkeit höchst realistisch. 

Capaldis Tucker, lose inspiriert von Alastair Campbell, dem »Dominic Cummings von Tony Blair«, ist der Kommunikationschef des fiktionalen Premierministers in der Serie. Wobei Pressesprecher nicht wirklich seine Tätigkeit beschreibt: Malcolm Tuckers wahre Berufung ist es, mit Flüchen und Beschimpfungen Abgeordnete und Minister auf Linie zu halten. Man nennt ihn auch den »Vollstrecker«, Politiker und Polittberater aller Art und Ränge geraten in Panik, sobald es heißt »Tucker ist im Gebäude«, manche versuchen, sich in ihren Büros zu verbarrikadieren. Aber meist sitzt er da dann schon, und beginnt eine seiner überaus einfallsreichen Schimpftiraden. Der neue Minister sei ein Volldepp, so hohl im Kopf, dass das Licht um ihn herum eine Kurve mache, eine zurücktretende Abgeordnete wird als eine »Verschwendung menschlicher Haut« bezeichnet, ein anderer Minister als so unbrauchbar wie ein »Dildo aus Marzipan«. Capaldi feuerte diese Sätze ab, als würden sie ihm gerade erst einfallen, authentifiziert und geerdet durch seinen schottischen Akzent. Seine Aufforderung »Come the fuck in or fuck the fuck off« ist inzwischen ein geflügeltes Wort, genauso wie die »Omni­shambles« (in etwa: Multi-Katastrophe), die ihm Serienschreiber Tony Roche in den Mund legte und bald darauf von der realen Politik aufgegriffen und 2012 zum Wort des Jahres erklärt wurde. Heute hört man es allerorten, wenn es um den Brexit geht. Und Capaldi wird nach eigener Aussage noch so manches Mal von Passanten auf der Straße angesprochen, die möchten, dass er sie mal »so richtig zusammenscheißt«.

Mit dem Chefautor der Serie, Armando Iannucci, verbindet Capaldi dabei noch mehr als die erfolgreiche Serie inklusive eines Spielfilm-Spin-offs (»In the Loop – Kabinett außer Kontrolle«): Beide haben, wie sich in ihren Nachnamen niederschlägt, italienische Vorfahren, und beide sind in Glasgow geboren und aufgewachsen – allerdings ohne sich zu kennen. Fünf Jahre älter als Iannucci verließ Capaldi das heimische Glasgow als 20-Jähriger mit dem Plan, in London als Punkrocker einer Band namens »The Dreamboys« Karriere zu machen. Aber schon damals kam es eben anders.

In Iannuccis »farbenblind« besetzten Adaption des Charles-Dickens-Romans »David Copperfield« spielt Capaldi nun gewissermaßen eine historische Variante des »Spin Doctors«: Mr. Micawber, der immer überschuldet ist, haltlos andere anschnorrt und sie dabei doch mit dem steten Optimismus, dass doch noch alles gut wird, ansteckt.

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