Nahaufnahme von Jean Dujardin

Narziss wohnt hier nicht mehr
Jean Dujardin in »November« (2022). © Studiocanal

Jean Dujardin in »November« (2022). © Studiocanal

Als flamboyanter Komödiant in den »OSS 117«-Filmen und »The Artist« ist er bekannt geworden. Doch Jean Dujardin zeigt sich zunehmend ernsthaft und verhalten. Wie jetzt im Terrordrama »November«

Von einem Filmstar erwarten wir, dass er wiedererkennbar ist hinter unterschiedlichen Masken. Er darf einer Vielfalt von Charakteren Gestalt geben, aber soll dabei stets er selbst bleiben. Er soll uns überraschen, aber nicht zu sehr. Mit anderen Worten: Wir verlangen, dass er zuverlässig ist.

Verblüfft es noch, wenn Jean Dujardin in »November« als Kommandant einer Spezialabteilung der Polizei zu sehen ist, die die Verantwortlichen der Terroranschläge auf das »Bataclan« und andere Orte friedlichen, zivilen Lebens in Paris am 13. November 2015 finden soll? Nur wenn wir den Schauspieler immer noch in die Schublade des Komödianten stecken, aus der er sich längst befreit hat. Seine neue Rolle ist ohnehin nicht präzedenzlos, sie hat eine Vorgeschichte in seiner Karriere. Für Regisseur Cédric Jimenez hat er schon einmal einen verwandten Part gespielt, als aufrechter Untersuchungsrichter in »Der Unbestechliche – Tödliches Marseille«, der es 1975 mit der Drogenmafia aufnimmt; auch dies eine Studie professioneller Effizienz mit unerschütterlich menschlicher Grundierung. In Intrige, Roman Polanskis Rekonstruktion der Dreyfus-Affäre, steht ihm die Pflichterfüllung, die viel zu gewissenhaft ist für das System, noch überzeugender zu Gesicht.

»Der Unbestechliche« (2014). © Koch Media

Generell kann man seine Leinwandfiguren in zwei Kategorien unterteilen. Auf der einen Seite stehen die Suchenden und auf der anderen diejenigen, die glauben, schon alle Antworten zu kennen. Erstere gehören tendenziell ins dramatische Fach, bei der zweiten Spielart kann er das komische Register ziehen. Dies ist sein ursprüngliches Mandat, er hat im Kabarett und im Fernsehen angefangen und feiert 2005 seinen ersten, gewaltigen Kassenerfolg mit einer Figur, die er in Bühnensketchen entwickelte: das Vatersöhnchen »Brice de Nice«. Mit diesem Durchbruch wird er im Kino noch nicht endgültig heimisch, er verlängert seine Lehrzeit gewissermaßen über ihn hinaus, nimmt Nebenrollen und Parts in Actionfilmen an. Aber er spürt, dass er seinem komödiantischen Instinkt vertrauen kann. Sein boulevardesker Elan ist unzähmbar. Es geniert ihn nicht, seine Charaktere der Lächerlichkeit preiszugeben. In der Saga um den tumben, eitlen Geheimagenten OSS 117 entdeckt er, dass es Timing und Demut braucht, einen Narren zu spielen.

Er erfindet sich kontinuierlich neu, er experimentiert beispielsweise mit Gimmick-Filmen. In einem ist er besonders gewinnend, in »Mein ziemlich kleiner Freund«, wo er digital auf ein Mannsbild von 1,36 Metern geschrumpft wird. Er stattet es mit unerbittlichem Charme aus, einer altmodischen Galanterie, die sich ins Zeug legt. Er widersteht der Verlockung, den Kleinwüchsigen zu sentimentalisieren, verleiht ihm vielmehr eine offensive, sturmerprobte Lebensfreude. Dujardin gelingt die Entgrenzung seiner darstellerischen Möglichkeiten auch deshalb, weil seine Erscheinung als Passepartout fungiert. Sie ist geschmeidig, vereint weiche Züge mit Anflügen der Entschiedenheit und Härte. Er ist kein Jedermann, aber ein Schauspieler wie er findet in sich, was er für die Gestaltung unterschiedlicher Charaktere braucht.  

»Mein ziemlich kleiner Freund« (2016). © Concorde Filmverleih

Als veritabler Filmstar weist er im Gegenzug eine durchaus fest konturierte Leinwandpersona auf. Er strahlt mediterranes Flair aus, tritt leger auf. Ein Großteil seiner Filme ist tatsächlich im Süden Frankreichs angesiedelt, an der Côte d'Azur und im Midi. Allerdings ist Dujardin gebürtiger Nordfranzose. Diese hexagonale Binnenspannung hätte er ausleben können, wenn er die Rolle angenommen hätte, die am Ende Kad Merad in »Willkommen bei den Sch'tis« spielte. Dujardin hätte übrigens auch für Gérard Depardieu einspringen können, als dieser die Obelix-Figur endgültig leid war. Immerhin, man traut ihm zu, dass er Frankreich relativ umfassend verkörpern kann. Auch für Hollywood dient er als eine solche Projektionsfläche. Nach seinem Oscar für »The Artist« ist er dort tatsächlich zeitweilig The French Flavor of the Month, tritt in »The Wolf of Wall Street« und »Monuments Men« auf. Aber das sind eher obligatorische Eskapaden, als dass sich darin ein langgehegter Traum oder verzehrender Ehrgeiz erfüllen würde. Dujardin fühlt sich entschieden besser aufgehoben im französischen Filmadel.

Der Weg dorthin ist ein Parcours selbstbewusster Zuversicht: Er spekuliert darauf, dass es eher auf die Rolle ankommt als auf die Wahl der Regisseure. Anfangs lässt er sich auf Leichtgewichte (James Huth), postmoderne Rabauken (Jan Kounen) und smarte Genre-Adepten (Nicolas Boukhrief, Jimenez) ein. Erst danach sucht er die Herausforderung des populären Autorenkinos, bei Éric Rochant, Nicole Garcia, später dem Exzentriker Quentin Dupieux und dem Altmeister Polanski. Die Begegnung mit einem Regisseur ist jedoch entscheidend für seinen Werdegang: Michel Hazanavicius.

»The Artist« (2011). © Delphi

Mit ihm bildet er ein ideales Gespann; ihre Zusammenarbeit erzählt vom Glück der Zweigleisigkeit. Der Regisseur dreht Genre-Parodien, die sich zugleich als Hommagen verstehen und so der cinéphilen Kritik und dem breiten Publikum gleichermaßen schmeicheln. Die ersten zwei »OSS 117«- Filme vereinen Retro-Charme und modernes Raffinement. Sie haben ihren eigenen Rhythmus, arbeiten mit dem verzögerten, ungläubigen Lachen: Kann es sein, dass der schneidige Spion wirklich eine so lange Leitung hat? Dujardins darstellerische Obsession ist hier die ahnungslose Süffisanz. OSS 117 ist ein rassistischer, misogyner Ignorant, der sich für brillant hält und sich in lächerlich heroischen Posen gefällt. Mit Sean Connery hat er immerhin die agilen Augenbrauen gemeinsam, aber auch im dritten Teil (leider ohne Hazanavicius) hat OSS nichts dazugelernt. Über alldem thront das Augenzwinkern des Schauspielers, der selbstredend intelligenter ist als seine Figur.

Auch der Stummfilmstar in »The Artist« ist selbstgefällig und begreift nicht, dass die Zeit über ihn hinweggeht; Dujardin verleiht ihm Komik und Pathos zugleich. Er konstruiert die Figur, indem er verschiedene Ausdrucksebenen übereinanderschichtet. Die Eigenschaften durchdringen sich nicht, sie bleiben rätselhaft unverbunden. Eine solche Trennung kann er auch in dramatischen Rollen vornehmen. Der Nachrichtenoffizier, der in Intrige Dreyfus' Unschuld beweisen will, ist paradox in den Vorurteilen seine Epoche gefangen: Er hegt keine Sympathie für den Verurteilten, weil er Jude ist.

Manchmal freilich muss er den Widerspruch in einen anderen Film auslagern. Der Spionagethriller »Die Möbius Affäre« ist das ostentativ dramatische Gegenstück zur »OSS«-Saga. Dujardin verkörpert einen russischen Agenten, der ausbrechen will aus seiner Welt. Die Fallhöhe, die der Film errichtet, ist gleichermaßen professionell und romantisch. Der Spion ist mit den Jahren verletzbarer, zögerlicher geworden. Ihm gebricht es an der Härte, die sein Metier verlangt. Eine Liebesbegegnung wird für ihn zur tastenden Suche nach Wahrhaftigkeit und Erlösung.

Der Film markiert ein willkommenes Ausscheren, denn der Endreim vieler seiner Rollen ist der Narzissmus. In diesem Fach kann Dujardin unausstehlich sein. Als Werbetexter in der Adaption von Frédéric Beigbeders halb-autobiografischem Romanpamphlet »39,90« verkörpert er voll Ekellust dessen zynisches, eitles, übrigens auch faules Alter Ego. Er liebäugelt kokett mit der Kamera, wenn er vorgibt, die Verworfenheit des Metiers zu entlarven. Dieser Paroxysmus verlangt nach Läuterung. In »Monsieur Killerstyle« ist der Narzissmus eine allgegenwärtige Heimsuchung; der Blick in den Spiegel ist in Quentin Dupieux' Inszenierung unentrinnbar. Der Film ist ein Befreiungsschlag für ihn, ein regelrechter Exorzismus: Danach ist er für die schillernde Strenge in »Intrige« bereit. Die Selbstbezogenheit seiner Figuren erlischt; »OSS 117« spielt er beim dritten Mal nur noch per Autopilot. In »November« stellt er sich in den Dienst des Films, geht in einer Rolle auf, die weitgehend expositorische Aufgaben erfüllt und Zutrauen wecken soll. Eine Rolle im Wartestand. Von hier aus kann seine Karriere in jede Richtung gehen. Inzwischen trägt er immer öfter seinen grau melierten Bart. Er verleiht ihm Gravitas und signalisiert, dass er gelassen auf ein neues Rollenalter zusteuert.

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