Bina Daigeler: Hinter jeder Powerfrau...

»Tár« (2022). © Focus Features, LLC.

»Tár« (2022). © Focus Features, LLC.

... steht eine andere starke Frau. In diesem Fall ist es die Kostümbildnerin Bina Daigeler. Sie hat Cate Blanchetts maskulinen Look für den oscarnominierten Film »Tár« und die opulenten Roben in »Mulan« entworfen

Kleidung ist Ausdruck der Persönlichkeit, ob bewusst oder nicht. Und oft entscheidet der erste Eindruck. Lydia Tár weiß ganz genau, wie sie auf andere wirkt. Sie setzt ihre maßgeschneiderten Anzüge und Hemdblusen ein: zur Erzeugung einer maskulinen Silhouette, die ihren Status als Frau in einer Machtposition manifestiert, und als eine Art Panzer im männerdominierten Umfeld an der Spitze des Klassikbetriebs. In Todd Fields »Tár« verkörpert Cate Blanchett diese Powerfrau, die seit der Premiere in Venedig für Furore sorgt, faszinierend schillernd und ambivalent. Einen nicht geringen Anteil an der Wirkung dieses Auftritts hat Bina Daigeler, die für den Film die Kostüme entworfen hat. Ihr gelingt es, Blanchetts Figur zusätzliche Kontur zu verleihen, subtil und unaufdringlich, aber umso wirkungsvoller. Grund genug, die Künstlerin im Hintergrund nach ihrer Arbeit zu befragen. Daigeler, 1965 bei München geboren, lebt seit vielen Jahren in Madrid und ist international gefragte Kostümbildnerin. Zuletzt war sie für die Kostüme der Netflix-Serie »1899« verantwortlich. Und im September vergangenen Jahres war sie für Dreharbeiten im baskischen Küstenort San Sebastián, wo eine spanische Disney-Serie über den legendären Modedesigner Cristóbal Balenciaga entstand. Ein besonderer Auftrag, wie sie dort im Gespräch verriet.

Der im nahe gelegenen Fischerort Getaria geborene Balenciaga eröffnete 1917 in San Sebastián seinen ersten Schneidersalon für exklusive Damenmode, bevor er mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs nach Paris emigrierte, wo er 1937 das bis heute existierende Haute-Couture-Unternehmen gründete und zu einem der wichtigsten Designer des 20. Jahrhunderts aufstieg. Der Sechsteiler erzählt die Lebensgeschichte des 1972 verstorbenen Basken, vom Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen zur international gefeierten Pariser Modeikone, gleichauf mit Dior und Chanel. Die Serie soll im Laufe des Jahres global auf Disney+ erscheinen und gilt als eine der aufwendigsten Serienproduktionen Spaniens. Und sie ist eine, in der die Kostüme elementarer Teil der Geschichte sind. »Dafür haben sie jemanden mit einem gewissen Background gesucht, die schon mal historische Stoffe, auch schon mal eine Serie gemacht hat«, erklärt Daigeler. »Sie wussten, bei mir sind sie in guten Händen.« Daigeler weiß selbst, was sie kann. Nicht die Größe des Projekts sei für sie die Herausforderung gewesen, sondern die Haute Couture, das Rekreieren der Originalentwürfe des Modeschöpfers. »Das ist etwas ganz anderes als Filmschneiderei, das hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht, und ich musste mich erst langsam wieder rantasten.« Sie durfte ins Archiv der Maison Balenciaga, aber nur fotografieren, viele Entwürfe existieren ohnehin nur auf Fotos. »Da haben wir uns durch viele Proben langsam herangetastet, bis wir kapierten, wie seine Schnitte überhaupt waren, weil er sehr konstruierte, architektonische Kleider entworfen hat.«

Filmkostüme haben aber meist noch ganz andere Funktionen. Sie sollen die Gefühle der Figuren zum Ausdruck bringen, in die Zeit der Handlung, zur Anmutung des Films passen. »Bei »1899« haben wir sehr viel über die Töne gesprochen und an der Farbpalette gearbeitet«, erinnert sie sich. »Das war ein sehr schöner Prozess, den der Zuschauer so nicht sieht, aber diese Vorbereitung ist für mich fast die schönste Zeit, wenn man die Kostüme entwickelt und über die Charaktere spricht, ihre Gefühle und Motivationen, was wir ausdrücken wollen, wohin die Reise geht.« Die Kostüme mussten dann in unzähligen Ausführungen und Zuständen hergestellt werden, die je nach Verlauf der Handlung eingesetzt werden. Da kommen bei einer Serie mit entsprechendem Ensemble schnell mehrere Hundert Stücke zusammen.

Für »Balenciaga« entstanden dagegen fast nur Unikate, möglichst originalgetreue Rekonstruktionen der Entwürfe des Modeschöpfers aus den 1930er bis 1960er Jahren. »Für diese Einzelstücke mussten wir die richtige Person finden, die es auch wirklich tragen konnte. Kleid und Model unterstützen sich gegenseitig, das muss zusammenpassen, um zu funktionieren.« Da unterscheide sich »Balenciaga« dann gar nicht so von »1899« oder »Tár«, findet Daigeler. »Man bereitet jedes Kostüm ja für eine bestimmte Schauspielerin vor, um ihr zu helfen, ausdrucksvoll zu sein.«

Über konkrete Zahlen redet sie ungern. »Das ist bei jedem Projekt so verschieden, bei »Balenciaga« etwa waren wir in meiner Schneiderei nur sieben, das ist sehr, sehr wenig für das, was wir alles entwickeln mussten.« Sie war vor allem für die Modenschauen zuständig, ihr Ko-Designer Pepo Ruiz Dorado, ein früherer Assistent von ihr, für die Kostüme der anderen Darsteller. »Aber wir haben uns laufend beraten und abgestimmt. Ich arbeite wahnsinnig gern so, der Austausch ist wichtig.« Denn auch wenn sie am Ende die Kostüme verantwortet, arbeitet Daigeler nicht allein, sie hat ein Team, das von Produktion zu Produktion variiert, bei dem sie aber auch auf regelmäßige Kollaborateure zurückgreift. »Ich habe eine Werkstatt in Madrid, und in Deutschland habe ich Leute, vor allem eine Assistentin, mit der ich seit Jahren zusammenarbeite; mit ihr habe ich auch »Mulan« gemacht, und sie war bei »1899« dabei. Aber ich arbeite oft international, da kommen immer wieder neue Leute dazu.« Die Ausgangslage und der Zeitpunkt, zu dem sie bei einem Projekt einsteigt, variieren stark. Bei den letzten Produktionen war sie bereits früh involviert, ein Glücksfall, denn das sei bei Weitem nicht die Regel. Die Vorbereitungen zu »1899« etwa fanden während des Lockdowns statt, der Dreh musste dann verschoben werden, »so hatte ich die Chance, mit langem Vorlauf den Look zusammen mit den Serienmachern Baran bo Odar und Jantje Friese zu entwickeln. Bei »Balenciaga« lag es auf der Hand, früh einzusteigen, weil die Kleider das Schlüsselelement sind.« Und bei »Tár« hatte sie, »weil ich mit Cate befreundet bin, schon früh mit dem Regisseur gesprochen und das Drehbuch gelesen. Das ist natürlich toll, weil ich mir dadurch viel früher Gedanken machen, mich inspirieren lassen und austauschen kann«. 

Den gibt es neben den Menschen im eigenen Gewerk vor allem mit der Regie, »weil sie am Ende alles zusammenhält. Aber bei »1899« habe ich mich auch intensiv mit Szenenbildner Udo Kramer und Bildgestalter Nikolaus Summerer ausgetauscht«, sagt sie. »Der Flur im Studio Babelsberg war tapeziert mit den ganzen Moods und Ideen, das war wie ein Tunnel, durch den auch die Schauspieler auf dem Weg zur Kostümprobe gingen, das war total interessant für sie. Auch bei »Tár« hatte ich ein Moodboard entworfen, an dem sich Todd Field orientieren konnte.« Sie glaubt, das Publikum werde nicht so auf die Kostüme achten, weil es eine zeitgenössische Geschichte ist. »Aber es war eine sehr enge Zusammenarbeit mit Cate, mit vielen Entwürfen und Anproben, anhand des Drehbuchs und der Entwicklung der Figur.« Die intensive Vorarbeit erlaubt dann kreative Freiheiten. »Welches Kostüm konkret für eine Szene zum Einsatz kommt, haben wir oft erst am Drehtag selbst entschieden. Das waren regelmäßig 20 Minuten intensive Auseinandersetzung für Cate, wohin sich ihre Figur bewegt, was sie damit ausdrücken will.« Das ist weit mehr als eine Kostümprobe. »In diesem Austausch bereite ich sie auf eine Art auf die Szene vor. Oft kommt sie ans Set und kennt die Location noch nicht, und ich kann sie dann beraten. Ich habe auch einige Details für ihre Filmwohnung besorgt, weil ich sie gut kenne und weiß, was sie braucht und worauf sie achtet. Wir haben da einen sehr schnellen Austausch. Jemanden zu haben, dem sie vertraut, hat ihr gerade bei »Tár« geholfen, wo sie unglaublich herausfordernde Szenen hatte.«

»Manifesto« (2015). © DCM

Daigeler ist sehr bewusst, dass ihr vertrautes berufliches Verhältnis etwas Besonderes ist. »Wir kennen uns schon lange und arbeiten immer wieder bei Projekten zusammen, die Cate persönlich sehr wichtig sind«, sagt sie. Sie unterscheidet »im Grunde zwei Arten von Kostümdesign: die sehr persönlichen Arbeiten, bei der ich im Kostüm alles anlege, um die Gefühle einer Figur und der Schauspielerin zu unterstreichen, in diesem Fall Cate. Und dann gibt es Filme wie »Mulan«, wo es um Fantasiekostüme geht, und ich auf Farben und das Visuelle aufbaue. Ich liebe beides, es ist toll, wenn ich meiner kreativen Fantasie freien Lauf lassen kann, aber genauso schön ist das psychologische Arbeiten, die Figur zu analysieren und einen Ausdruck in der Kleidung dafür zu finden«.

In München absolvierte Bina Daigeler in den 1980ern eine Schneiderlehre in einem Kostümverleih und sammelte erste Erfahrungen bei Film- und Fernsehproduktionen, unter anderem bei der ZDF-Ballettserie »Anna« und Dieter Wedels »Der Schattenmann«. Ende der Dekade hatte sie »Lust, mich zu verändern«, und zog nach Spanien. »Madrid war damals kurz nach Francos Tod ziemlich der Wahnsinn«, sagt sie lachend und mit charmanter Münchner Färbung, die sie sich bewahrt hat. In dieser Zeit des Übergangs zur Demokratie, als mit der Movida in Madrid der kreative Underground blühte und Pedro Almodóvar seine frühen Camp-Trash-Filme drehte, bekam auch sie erste Jobs, zunächst als Assistentin eines Kostümbildners fürs Fernsehen. Ihr Einstand im Kino war dann gleich international: Ridley Scotts in Spanien gedrehter »1492 – Die Eroberung des Paradieses«. Es folgten John Malkovichs Regiedebüt »The Dancer Upstairs« und etliche spanische Kinofilme. Auch in Deutschland arbeitete sie immer wieder, für so unterschiedliche Produktionen wie die Winnetou-Parodie »Der Schuh des Manitu« oder das Geiseldrama »7 Tage in Entebbe«. Eine langjährige Kollaboration verbindet sie mit dem Videokünstler Julian Rosefeldt, für dessen Installationen sie mehrfach die Kostüme entwarf. So auch für »Manifesto«, in dem Cate Blanchett in 13 höchst unterschiedliche Rollen schlüpft und Manifeste vorträgt. Die lineare Version kam 2017 ins Kino, im Jahr darauf wurde Daigeler dafür mit dem Deutschen Filmpreis für das beste Kostümdesign ausgezeichnet. 

»Mulan« (2020). © Walt Disney

Auch wenn Madrid, wo sie mit ihrer Familie lebt, schon lange ihre Heimat ist, ist sie als Kostümbildnerin international gefragt. Sie drehte mit Jim Jarmusch (»The Limits of Control«, »Only Lovers Left Alive«) und Oliver Stone (»Snowden«), mit Steven Soderbergh für sein »Che«-Mammutprojekt, mit  Alejandro González Iñárritu (»Biutiful«), Wim Wenders »Grenzenlos«. Und immer wieder in Spanien, für Almodóvar bei »Alles über meine Mutter« (1999) noch als Assistentin, bei »Volver« dann als verantwortliche Kostümbildnerin. Allein für den Goya wurde sie bislang viermal nominiert. Eine Emmy-Nominierung erhielt sie 2020 für die Miniserie »Mrs. America«, ein weiteres Projekt mit Cate Blanchett. Der vorläufige Höhepunkt war vor zwei Jahren die Oscarnominierung für die opulenten Kostüme des Disney-Schwertkampf-Spektakels »Mulan«. Für »Tár« ist sie am 12. März dagegen nicht im Rennen. So verdient es wäre, so wenig überraschend ist das. »Gesehen« werden meist nur die Entwürfe, die ins Auge fallen, in historischen oder Fantasyfilmen. In Gegenwartsdramen fällt die Kleidung meist nicht weiter auf. Dabei sind ihre Entwürfe für diese ambivalente Powerfrau hohe Kunst, die den Charakter der Figur subtil akzentuieren. 

In den letzten beiden Jahren hat sie sehr viel in Berlin gearbeitet, an »1899« und »Tár«. In Spanien hatte sie vor »Balenciaga« länger keine Projekte. »Die Serie habe ich gemacht, weil ich ihn als Designer verehre, aber auch, weil ich mal wieder eine Weile am Stück zu Hause sein wollte.« Das hätte auch gut so weitergehen können, mit Almodóvars geplantem »Handbuch für Putzfrauen« nach Kurzgeschichten der US-Autorin Lucia Berlin, mit Cate Blanchett in der Hauptrolle. Wie ein Sechser im Lotto für Daigeler, doch dann zog Almodóvar im September überraschend die Reißleine – er fühle sich nicht in der Lage, ein solch monumentales Werk in englischer Sprache in Angriff zu nehmen. Ein herber Schlag auch für die Designerin, die Enttäuschung ist ihr anzumerken, obwohl sie gewohnt ist, dass ihr Metier von Projekt zu Projekt unwägbar bleibt. Dabei geht Daigelers Lauf auch im Kino munter weiter. Bereits abgedreht sind das Nachfolgeprojekt mit »Mulan«-Regisseurin Niki Caro, der Actionthriller »The Mother« mit Jennifer Lopez in der Hauptrolle und das Science Fiction-Drama »Fingernails« des griechischen Nachwuchsregisseurs Christos Nikou (»Apples«) mit Jessie Buckley. Gut möglich, dass also bereits beim Cannes-Festival im Mai wieder Kostüme aus ihrer Hand auf der Leinwand zu sehen sind. Bina Daigeler sieht der Zukunft ohnehin mit ibero-bairischer Gelassenheit entgegen. »Schauen wir mal. Wird schon werden.«

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