Berlinale-Retro: Hollywood-Komödiantinnen

»Design for Scandal« (1941)

»Design for Scandal« (1941)

Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard: die Komödienstars der dreißiger und vierziger Jahre stehen im Fokus der Berlinale Retrospektive. Das wird ein wundervolles Lehrstück in Subversion und Lebenslust, meint Georg Seeßlen

Noch mehr als die Praxis ist die Theorie des Komischen männlich dominiert. So etwas hat natürlich Gründe, und etliche davon greifen tiefer als schiere Gewohnheit oder Ideologie. Alice Guy, die Miterfinderin des Kinos, hat in einigen ihrer Slapstickfilme, die sie neben Western und Fantasy gern drehte, gewagt, was keinem männlichen Kollegen verziehen worden wäre. Sie hat sich über Schwangerschaft und Geburt lustig gemacht. Als komisches Subjekt durften Frauen im weiteren dienen, als Matrone, als naives Mädchen vom Land, als lustig-verständige Dienerin, als doofe Sexbombe und so fort. Es kommt freilich darauf an, vom Objekt des (angstvollen) Lachens zum komischen Subjekt zu werden, das heißt, zu jemandem, der seine Schwäche in Stärke verwandelt, der das Komische als Waffe einsetzt. Das drittbeste Medium dafür ist das Kino. (Das zweitbeste ist die Bühne in einem verrauchten Club, das beste, natürlich, das Leben selbst.)

Mae West, Rosalind Russell, Carole Lombard. Von diesen drei Leinwandfrauen zu reden, ist eigentlich schon ein Verrat. Viel schöner ist es, einfach dabei zu sein, wenn sie sind, wie sie sind. Aber weil sie ebendies auch durchsetzen mussten gegen die Zeit, gegen die Studios, gegen die moralischen (das heißt politischen) Codes und sogar gegen die Erwartungen und Gewissheiten des Publikums, lohnt es sich, mit ihnen ein wenig nachzudenken. Über Eros, Bild und Macht zum Beispiel. 

Taktiken der Subversion

Drei Kinofrauen, denen das auf die eine oder andere Art gelang, in einer Zeit vor einer gewaltigen Restauration der amerikanischen Traumfabrik, ist diese Retrospektive gewidmet, so wie das Begleitbuch von Rainer Rother, das sehr genau die Taktiken der komischen weiblichen Subversionen auf der Leinwand beschreibt. Mae West, von vornherein Autorin und Ausstatterin ihrer Performance, Rosalind Russell, die auch weniger filmhistorisch bewanderten Zuschauer*innen sofort gegenwärtig ist, wenn man an »His Girl Friday – Sein Mädchen für besondere Fälle« mit Cary Grant erinnert: Ihre Rolle war ursprünglich für einen Mann geschrieben, und Rosalind Russell hat den tatkräftigeren, Cary Grant den, nun ja, verführerischeren Part. Schließlich Carole Lombard, die von unnachahmlicher Streiteleganz (wie in Hitchcocks »Mr.& Mrs. Smith«) sein konnte. Der Trick bestand darin, dass man in ihren Filmen lernte, nicht über sie, sondern mit ihnen zu lachen. Damit das möglich war, musste Weiblichkeit bis zu einem gewissen Grad ent-heiligt werden. Diese Frauen also waren keine Engel, keine Heiligen, von »Unschuld« kann keine Rede sein. Sie sagten es mit ihren Körpern, und sie sagten es mit ihren Blicken, dass sie einen Teil der Welt haben, den Spaß nicht den Männern überlassen und Subjekte der eigenen Geschichte werden wollten. Das Komische ereignet sich, wo man an die Grenzen dieser Ansprüche gelangt, oder anders gesagt: Komik macht die unsichtbaren Grenzen zwischen Geschlechtern, Klassen und anderen sozialen Zuschreibungen sichtbar – und wenn Komik eine Waffe ist, dann kommt es immer darauf an, von welcher Seite dieser Grenzen man sie benutzt. Subversiv sind West, Russell und Lombard in den großen Komödien ihrer Zeit deshalb, weil sie die politischen, moralischen, ökonomischen und semantischen Systeme, in denen sie sich bewegen, nicht infrage stellen, sondern im Gegenteil ihre Regeln besonders genau kennen und in ihrem Sinne anwenden. Sie denken zuerst einmal an sich selbst, sie haben keine Lust, Opfer zu sein, sie sind körperlich und materiell. Ihr Witz ist eher zynisch als kritisch, und sie maßen sich immer so viel Männliches an, dass Männer sich unabwendbar verweiblichen oder wenigstens vollkommen kindisch werden. Die Auftritte von West, Lombard und Russell funktionieren, weil die Männer in diesen Filmen sich als Volltrottel erweisen. Aber dann setzen auch Transformationsprozesse ein. Neuordnungen in den Geschlechterzeichnungen, Neuordnungen in der Blick/Bild-Grammatik. 

Weiblichkeit in Anführungszeichen

Die drei Schauspielerinnen vertraten, mal mehr, mal weniger, Rollenmodelle subversiver Weiblichkeit in einer Welt, deren patriarchale Ordnung durch die Weltwirtschaftskrise ins Wanken geraten war. Jedenfalls mag es uns von heute aus gesehen so erscheinen; ebenso könnte man sie als Modelle der (wenn auch nicht vollständig) gebannten Revolten ansehen. Dass sie entweder arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und zwar in aller Regel in den Büros und Industrien der modernen Medien- und Konsumwelt, oder aber ihren Wert auf dem Dating- und Heiratsmarkt selbst bestimmen, dass sie sich in ihrer Kleidung und ihrer Gestik selbst ausdrücken, statt als Objekte ausgedrückt zu werden: Das ist das Realistisch-»Vorbildliche« an der Oberfläche. 

Dann aber entstehen denkwürdige Spiegeleffekte. Denn ihnen haftet in ihren beeindruckendsten Rollen ein Touch von campy Übertreibung, von Queerness gar an. Es sind Schauspielerinnen, die vor allem Schauspiel spielen; um sie herum ist nahezu immer Bühne. Man könnte auch sagen: West, Lombard und Russell stellen die Weiblichkeit immer in Anführungszeichen dar. Natürlich auf sehr, sehr unterschiedliche Weise. Vielleicht als Vergangenheit (Mae West, die, während sie Männer taxiert, am liebsten noch ein und noch ein Element textiler und symbolischer Weiblichkeit akkumuliert und als »Belle of the Nineties« ohnehin immer aus einer anderen Zeit zu stammen scheint), als Gegenwart (Carole Lombard, durchscheinend und glänzend den Blick brechend und mit diesen leicht ruckartigen Bewegungen vorstoßend, als gälte es, einen präzisen Biss zu setzen) und als Zukunft (Rosalind Russell, die mit »Habt ihr’s immer noch nicht begriffen«-Erstaunen über die eigene Erscheinung spottet und jeden Mann überragt – wenn es sein muss, mit Hilfe von Frisuren oder Hüten). Der Körper der Frau als (cineastischer) Fetisch steht zur Disposition. 

Und dies eben ist eine Voraussetzung des komischen Subjekts. Wenn Rosalind Russell stolpert – und sie kann stolpern –, dann kann das so eine höhere Form der Eleganz, geläutert durch Menschlichkeit, ergeben wie bei Charlie Chaplin, und Mae Wests Hüftknick ist so übertrieben wie Jerry Lewis’ Versuche, männliche Aggression darzustellen. Die Umwandlung der Zeichen am »falschen« Körper macht die Differenz von Abbildung und Abgebildetem sichtbar. Allen drei Schauspielerinnen ist gemein, dass sie nicht »natürlich« spielen. Ihre Wurzeln liegen also nicht nur vor dem Code (der Hollywood durch seine bizarre Prüderie eine neue Sprache des Begehrens verordnete), sondern auch vor der Psychologie. In ihren besten komischen Filmen fungieren West, Lombard und Russell eben nicht nur als Bilder, sondern vor allem als Blicke. Und dann erscheinen die Männer wie in einem satirischen Comic, als groteske Karikaturen, als Glotzende, die nicht merken, dass sie die Vorgeführten sind. Es gibt diese Dialektik: Indem man sich selbst durchschaut, durchschaut man den Rest der Welt. Und durchschaute Weiblichkeit ist nur die andere Seite durchschauter Männlichkeit. Im Blick des Begehrens verschwimmen die Geschlechterordnungen. Rosalind Russell braucht einen Mann nur anzuschauen, schon benimmt er sich »wie eine Frau«. Mae West zieht ihre Männer mit Blicken aus (nein, sie tut nur so). Und Carole Lombard erzeugt in ihrem Blick den Mann ihrer Träume, so wie man es in umgekehrter Grammatik von den Männern gewohnt ist. 

Unverschämtheit wird Kunst

All das funktioniert nur mit Hilfe von Plots und Regiearbeiten, die ebendiesem Spiel die richtige Bühne bereiten, und in einem Umfeld, in dem zwischen Traum und Groteske realer sozialer Horror schimmert, in dem die Frauen immer noch einmal Opfer der Opfer werden können. Filme wie John Fords »The Whole Town’s Talking« machen dem Publikum da nichts vor: Es sind die Frauen, die in der Krise zuerst den Job und damit die bürgerliche Existenz verlieren. Die frühen dreißiger Jahre waren die Zeit einer weißen Verelendung, was sich unter anderem auch in einem unübersehbaren Prostitutionsdruck bis in frühere Mittelschichten hinein realisierte. Das machte den taxierenden Blick doppelt obszön, die Straße zum noch gefährlicheren Ort, den Überlebenskampf noch härter. 

Die auf doppelte Weise »gefallene« Frau wurde in diesen Jahren zu einem Hollywoodmythos: Greta Garbo, Jean Harlow oder Marlene Dietrich mussten ihre Körper in wertvolle Bilder verwandeln, die weniger glücklichen (im Kino zum Beispiel Dorothy Mckaill oder Tallulah Bankhead) mussten ihn auf dem gewöhnlichen Fleischmarkt verkaufen. Die Träume von Erlösung, Rettung und Flucht, die das Kino anbot, wären nicht wirksam, wenn nicht zumindest ein Widerschein der Wirklichkeit in sie dringen hätte können. Dem doppelten Drohszenario von sozialem Abstieg – meistens der Verlust einer familiären Geborgenheit, die erzwungene Wanderung aus den Heartlands in die Metropolen und dann der Verlust eines Jobs als möglicher Neubeginn – und Prostitution, manchmal mehr, manchmal weniger direkt ausgedrückt, konnte nicht allein mit der Plot-Konstruktion begegnet werden (an die Happy Endings der Prostitutionsfilme der Depressionsjahre glaubte wohl niemand wirklich), der Kampf um Würde und Freiheit musste auf einer tieferen Ebene der Darstellung geführt werden. Und zugleich musste die Revolte des Bildes gegen diesen Blick verborgen bleiben vor einer Zensur, die mehr mit Körperpolitik als mit Sex zu tun hatte. 

Der einfache Trick: Carole Lombard, Rosalind Russell und Mae West stellten dar, was sie erlebten. Der Kampf auf der Leinwand war die Fortsetzung des Kampfes in der Traumfabrik, die genauso sexistisch und ausbeuterisch funktionierte wie jede andere Fabrik. Das Komische in der Umkehrung des taxierenden Blicks war Überlebenskampf. Um es mit den Worten von Adolph Zukor zu sagen: »Aus dem Morast der Depressionsjahre konnte uns weder die tatkräftige Frau mit dem Herzen am rechten Fleck noch das Glamour Girl befreien. Das konnte nur jemand wie Mae West.« Durch die Verwandlung von Un-Verschämtheit in eine Kunst. 

Lust for Life

Komisch sein heißt: ein Bewusstsein haben, während man das empfangene Leid annimmt und zurückwirft. Man erobert sich die Freude am Leben, die einem von der Umwelt verweigert wird, auf eine unerwartete Weise zurück. Und auch das ist es, was die drei Schauspieler-Imagos miteinander verbindet und was in ihren Dialogen dieser Zeit immer wieder aufscheint: eine unbändige und manchmal überschießende Lust am Leben. Die Komödie kann nicht nur präziser und ehrlicher gegenüber ihrem sozialen Ausgangsmaterial sein als ein Drama, sondern auch eine Befreiungsgeste gegenüber dem Melodrama als moralischem Gefängnis. Denn nach den beiden Bedrohungen aus den frühen und mittleren dreißiger Jahren, dem sozialen Abstieg und dem Prostitutionsdruck, folgten im New Deal und in den Kriegsjahren neue Probleme – die Überforderung und die Restauration. Die erzwungenen wie die eroberten Freiheiten wurden wieder kassiert, auch im Kino. Als das Leben wieder etwas leichter wurde, sollte es zugleich von weniger Lust bestimmt sein. Die Aussicht auf sozialen Wiederaufstieg sollte durch eine neue Körperkontrolle zu erkaufen sein. 

West, Russell, Lombard. Ihre Filme heute anzusehen, bedeutet, sich der Schönheit des Widerstands zu widmen. Ohne zu vergessen, dass alle drei ihre glanzvollen Tage in einer der größten Krisen des glorreichen amerikanischen Kapitalismus erlebten. Kaum ging es wieder besser, griff die – männliche – Reaktion zur Zensur. Der »Production Code« des Jahres 1930 wurde nach und nach zur Waffe der glänzenden Restauration des American Way of Life. Die Methoden des Widerstands mussten subtiler, kleinteiliger, unauffälliger werden, aber das ist eine andere Geschichte. 

Entscheidend am komischen Effekt allerdings ist immer auch das Spiel mit dem Wissen, sozusagen der komische Suspense. Wenn ein Rollenklischee benutzt, umgedeutet oder verfremdet wird, setzt das eine Mitwisserschaft voraus, vielleicht nicht so sehr in der Form eines diskursiven Aha!, sondern vielmehr in der Form einer Ahnung, einer verschütteten Sehnsucht. Die Zote, hat Sigmund Freud behauptet, sei eine konspirative Machtdemonstration gegenüber einem abwesenden (weiblichen) Objekt. Gelungene Komik ist eine konspirative Geste gegenüber einem schattenhaften Zensor. Die Gedanken, die wir uns heute über die Leinwandfrauen machen, die im Gegensatz zum Retrospektiventitel vielleicht doch etwas Engelhaftes an sich hatten, wären zu ihren Zeiten unmöglich gewesen. Deshalb mussten sie Bild werden.

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