Kritik zu Von Caligari zu Hitler

© Real Fiction

2014
Original-Titel: 
Von Caligari zu Hitler
Filmstart in Deutschland: 
28.05.2015
L: 
118 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen: Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland erzählt die Geschichte des Weimarer Kinos nach

Bewertung: 3
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Neugierig blickt die Kamera sich um auf den Straßen Berlins, erfasst Menschen, reißt kleine Geschichten an. Es ist die Kamera Eugen Schüfftans in dem 1929 entstandenen Film Menschen am Sonntag, einer Kollektivarbeit der jungen Filmverrückten Edgar G. Ulmer, Fred Zinnemann, Billy Wilder, Robert Siodmak und seines Bruders Kurt und eben des Profis Eugen Schüfftan. Menschen am Sonntag, ein Film, dessen Modernität beim heutigen Wiedersehen immer noch fasziniert, hätte einen Aufbruch im deutschen Film markieren können, den sozialkritischen Realismus von Filmen wie Brüder und Kuhle Wampe mit einem offenen Blick für Alltagsdetails verbindend. Stattdessen zwang das Jahr 1933 die Filmemacher in die Emigration. So markiert er stattdessen einen Schlusspunkt des Kinos der Weimarer Republik, auch einen Gegenentwurf zu den Studiowelten von Filmen wie Murnaus Faust oder Fritz Langs Die Nibelungen, und steht in dieser filmischen Geschichte des Kinos der Weimarer Republik entsprechend am Ende.

Deutschland – wo liegt es? Mit dieser Eingangsfrage knüpft der Filmkritiker Rüdiger Suchsland nahtlos an den Film Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte von Hans Helmut Prinzler und Michael Althen (2008) an. Ging es dort um die gesamte deutsche Filmgeschichte, so konzentriert sich dieser Film auf eine Epoche, die erste Blütezeit des deutschen Kinos, die auch außerhalb der Landesgrenzen Beachtung fand.

Beiden Filmen gemeinsam ist das Mosaikartige, die Verknüpfung von Bekanntem mit weniger Bekanntem, wobei hier Siegfried Kracauers 1947 erschienene Studie (von der der Film den Titel entlehnt) als Leitlinie fungiert, etwa wenn es um die in diesem Kino so häufig zu findenden Tyrannenfiguren geht: in Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) ebenso wie in der Figur des Dr. Mabuse, der am Anfang der Weimarer Republik ebenso wie an deren Ende steht.

Die Filmausschnitte kann man hier in ausgezeichneter Bildqualität sehen, denn einige Klassiker, aber auch eher vergessene Titel wie Gerhard Lamprechts Die Verrufenen oder Robert Reinerts Nerven wurden in den letzten Jahren restauriert. Expertenstatements (von zwei Regisseuren und drei Wissenschaftlern) nehmen demgegenüber einen vergleichsweise geringen Raum ein. Dass der Film, der zweifellos das Interesse an der deutschen Filmgeschichte belebt, nicht so gut ist, wie er hätte sein können, macht der Ausschnitt aus Menschen am Sonntag deutlich: Hier können sich die Bilder entfalten, während der Kommentar ihre Inszenierung mit knappen Worten analysiert. Zuvor allerdings ist Von Caligari zu Hitler ein zweistündiger Strom der Bilder, oft so schnell montiert, wie man es aus den Einspielfilmen bei Preisverleihungen kennt. Zweimal sieht man in einem Ausschnitt aus Fritz Langs M eine Schaufensterauslage, in der ein Rad sich dreht, dessen kreisförmige Muster dazu angetan sind, den Betrachter in einen Trancezustand zu versetzen. Manchmal möchte man diesen Bilder- und Sprachfluss, bei dem der Filmemacher selber den nur selten pausierenden Kommentar spricht, anhalten, um das Gesehene und Gehörte verarbeiten zu können.

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