Kritik zu Zwei Staatsanwälte
Basierend auf einer Geschichte des Gulag-Überlebenden Georgi Demidow macht Sergej Loznitsa die Mechanismen stalinistischer Macht erfahrbar
»Zwei Staatsanwälte«, der neue Film von Sergei Loznitsa, basiert auf der gleichnamigen Novelle des Physikers Georgi Demidow. Demidow schrieb den Text, der erst in den 1990er Jahren vom KGB freigegeben wurde, während seines 14-jährigen Aufenthalts in verschiedenen russischen Gulags. Der ukrainische Regisseur macht aus seiner Motivation, diesen Stoff gerade jetzt zu verfilmen, keinen Hehl: In einem Interview erklärte er, dass Russland unter Wladimir Putin »zurück in Richtung Stalinismus rast – ein Land, das gegen das Völkerrecht verstößt, ein Land, das Kriege mit seinen Nachbarn führt«. Loznitsas Adaption fügt sich also nahtlos ein in sein neueres Werk, das mal dokumentarisch, mal in Spielfilmform historische und aktuelle Grausamkeiten in Russland und der Ukraine beleuchtet.
Besonders an zwei von Loznitsas früheren Filmen lässt »Zwei Staatsanwälte« denken. Wie bereits die Dostojewski-Adaption »Die Sanfte« taucht der neue Film ein in die Tiefen des russischen Gefängnissystems, dessen labyrinthische Architektur als perfekte visuelle Metapher für eine feindselige Bürokratie dient. Zweitens funktioniert der Film als Gegenstück zur Doku »State Funeral«, die Archivaufnahmen von Stalins Beerdigung und regionalen Trauerfeiern kommentarlos zu einem ausladenden Mosaik der Sowjetunion im Jahr 1953 verwebt. »Zwei Staatsanwälte« zeigt nun eine Detailaufnahme des sowjetischen Lebens und führt zurück in die Hochphase stalinistischer »Säuberungen« in den 1930ern.
Der erste Staatsanwalt des Titels ist Kornev, gespielt von Alexander Kusnezow, ein idealistischer junger Jurist, der früh befördert wurde. Ein schicksalhafter Zufall trägt ihm zu Beginn des Films einen von tausenden von Briefen zu, die in einem Gefängnis verbrannt werden sollen. Der Brief ist in Blut geschrieben und wurde von einem todkranken Hochsicherheitsgefangenen verfasst, der behauptet, dass die Geheimdienste ohne Rücksicht auf Rechtsstaatlichkeit das Justizsystem nutzen, um eine ältere Generation von Parteiveteranen wie ihn verschwinden zu lassen. Das Ziel sei, eine strikt loyale Elite von Stalin-Anhängern zu konsolidieren.
Kornev beginnt zu ermitteln. Der Film folgt ihm in der ersten Hälfte in präzisen, nüchternen Bildern durch die verschlungenen Gänge, doppelten Sicherheitsschleusen und grauen Warteräume des Gefängnisses. Man lässt den jungen Anwalt warten, vertröstet ihn, warnt ihn schließlich kaum verhohlen davor, weiter nachzuforschen, doch Kornev gibt nicht nach. Loznitsa ist zweifellos nicht der erste Filmemacher, der sich sowjetischer Bürokratie stilistisch mit einer Mischung aus Kafka und Dostojewski nähert, aber es gelingt ihm hier fulminant und mit bedrückender Intensität.
In der zweiten Hälfte schwingt der Film langsam um, vom Kammerspiel in Zeitlupe zum unterkühlten Thriller. Nun begleiten wir Kornev auf dem Weg nach Moskau, zu seinem Treffen mit dem »zweiten« Staatsanwalt, dem Chefankläger (und späterem SU-Außenminister) Andrei Wyschinski (Anatoli Bely), der Kornev erneut stundenlang warten lässt und seinen Anschuldigungen mit beunruhigender Ruhe zuhört. Was folgt, mag nicht unbedingt überraschen – aber um Überraschung geht es Loznitsa auch nicht. Der Film infiziert sein Publikum stattdessen gekonnt mit der Paranoia, die nun von Kornev Besitz ergreift. Wem kann er noch trauen? Welche scheinbar harmlose Begegnung ist in Wirklichkeit eine versteckte Warnung?
Zwischenzeitlich kann das etwas einseitig wirken und vielleicht hätte es dem Film gut getan, seinen Figuren mehr Tiefe zu verleihen. Denn auch wenn die Darsteller durchweg hervorragend agieren, wirken ihre Rollen oft wie allzu bekannte Stereotypen: der idealistische Naivling, der korrupte Apparatschik, und so weiter. Vielleicht hätte Loznitsa auch seine historische Parabel besser herausarbeiten müssen – sollen wir hier etwas über Stalinismus oder über Putins Russland lernen? Sicher gibt es Parallelen, aber doch wohl auch gravierende politische Unterschiede. Das hochspannende, verstörende letzte Drittel des Films, das auf Kornevs Zugreise zurück nach Hause spielt, zieht einen dann aber so in seinen Bann, dass man über gewisse konzeptuelle Schwächen hinwegsieht.





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