Kritik zu Paternal Leave – Drei Tage Meer

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Die Schauspielerin Alissa Jung erzählt in ihrem Debütfilm von einer 15-Jährigen, die zum ersten Mal ihren Vater trifft

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»Du bist also Annas Tochter?«, sagt der Mann zu dem Mädchen, das unvermittelt vor ihm steht. »Nicht nur ihre«, weist sie ihn zurecht. Die 15-jährige Leona ist zu Hause in Deutschland ausgerissen, hat sich im Zug versteckt, und irgendwann kommt sie in einem trostlos grauen norditalienischen Ferienort an, um zum ersten Mal ihren Vater zu treffen. Der war eine innige Sommerliebe ihrer Mutter, hat aber bis heute Probleme damit, sich festzulegen, auf einen Ort, eine Wohnung, eine Familie, eine Tochter. Leo hat eine Liste mit Fragen vorbereitet: Wie hat meine Mutter dir von mir erzählt? Was war deine Reaktion? Wolltest du mich nie sehen? Einen Vaterschaftstest hat er veranlasst? Sie ist fassungslos. Am Meer beobachten Vater und Tochter eine kleine Flamingokolonie, weit und breit der einzige schöne Anblick am winterlich verlassenen Surferstrand: »Flamingos sind Superväter«, frotzelt Leo. »Sie teilen sich den Nestbau, das Brüten und das Füttern 50:50 mit den Müttern.«

In ihrem Spielfilmdebüt hat die Schauspielerin Alissa Jung eine Coming-of-Age-Geschichte auf drei Tage verdichtet. »Paternal Leave« ist eine Art Vater-Tochter-Kammerspiel, das meist ins Freie verlagert ist, wo die Gefühle ein bisschen atmen können. Die Trostlosigkeit der verlassenen Strände, Duschen und Cafés und das Provisorische der väterlichen Unterkunft, mit Campingwagen und Workshop-Hütte, spiegeln die Unbehaustheit der Menschen, die klamme Stimmung zwischen ihnen.

Leo ist verloren und bedürftig, aber auch kompromisslos ungnädig. Sie durchschaut seine Manöver, spürt, dass er sie vor seinen Freunden versteckt, damit er nicht erklären muss, wer sie ist. Und stellt bald fest, dass sie ihm im Weg ist bei seinem Versuch, es mit einer vierjährigen Tochter, die er mit einer anderen Frau, ebenfalls ungebunden, besser zu machen als bei ihr. Juli Grabenhenrich spielt Leo in einer wunderbaren Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit; sie ist fordernd und trotzig, wütend und ungehalten, aber auch neugierig und sehnsüchtig. Wie eine Detektivin der Seele erforscht sie ihren Vater und nennt die Dinge beim Namen: »Du hast entschieden, mich nicht mehr zu sehen.« Und als er erzählt, wie überfordert er sich damals fühlte, stellt sie ernüchtert fest: »Ach, du hast nicht mal entschieden? Es passierte?« Luca Marinelli, der in Italien ein Star ist, seit er in Venedig für »Martin Eden« als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde, schlingert zwischen windigen Ausflüchten und halbherziger Hingabe. Mindestens so wichtig wie die gesprochenen Worte ist dabei, was in Blicken und Körperhaltungen spürbar wird, was in kleinen Gesten der Zuwendung und Zurückweisung mitschwingt, all die Sehnsüchte und Hoffnungen, Ängste und Enttäuschungen. So wie die Figuren ihre Gefühle nur widerwillig offenbaren, hält sich der Film damit zurück. Statt eines verlogenen Happy Ends gewährt er einen kaum merklichen Moment der Annäherung: Vater und Tochter schauen aufs Meer, berühren sich fast zufällig an den Hüften, geraten dabei in sanfte Schwingung wie ein menschliches Newton-Pendel.

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