Kritik zu The Change
Die neue Freundin ihres Sohnes entpuppt sich als Vordenkerin einer autoritären politischen Bewegung in den USA – und gefährdet das Familiengefüge von Ellen und Paul
Wenn jemand eine Rede vorm Spiegel übt, löst das beim Zuschauer ambivalente oder sogar negative Reaktionen aus. Will jemand nur einen guten Eindruck machen – oder aber kaschieren, dass er nicht meint, was er sagt, sondern absichtlich täuscht? Hier ist es in der ersten Szene des Films eine adrette junge Frau namens Elizabeth (»Liz«), die sich vorbereitet auf das erste Treffen mit der Familie ihres Freundes Josh – an einem Tag, der ganz im Zeichen der Eltern steht, ist es doch ihr 25. Jahrestag, ihre Silberhochzeit, die die Eltern mit ihren vier Kindern vereint.
Hat der Film bis hierhin noch das Zeug zu einer RomCom (wird die etwas spießig wirkende Liz sich mit der freigeistigen Familie ihres Freundes anfreunden können?), so kommt der Kippmoment, als Joshs Mutter Ellen ein Déjà-vu-Gefühl beschleicht. Die Internetsuche bestätigt es: Liz studierte einst an der Universität, an der Ellen unterrichtet, und fiel in einer Hausarbeit durch krude, antidemokratische Thesen auf, die auf die Legitimierung eines autoritären Staates hinausliefen. Ellen setzte sich daraufhin erfolgreich für Liz' Rausschmiss aus der Uni ein. Das war vor acht Jahren. Sollte Liz inzwischen eine andere sein? Diese Hoffnung währt nur kurz – bis Ellen das Geschenk von Liz auspackt, ein Buch mit dem Titel »The Change«. Das war auch der Titel ihrer Hausarbeit, damals mit dem Zusatz »Birth of a new nation«, jetzt lautet er »For a new social contract«, der Tenor ist derselbe, veröffentlicht von einem großen, krakenartigen Unternehmen namens Cumberland Company. Ein Schock für Ellen, ihren Ehemann Paul und die drei Töchter. Während Paul ein Restaurant betreibt, ist Tochter Anna die Unangepasst-Rebellische, die als lesbische Stand-up-Comedian provoziert; Cynthia ist Rechtsanwältin, verheiratet mit ihrem Kollegen Rob, während Birdie als Biologie-Nerd in dieselbe Richtung geht. Nur Josh hat es als Schriftsteller noch nicht geschafft.
Von einem jährlichen Familientreffen zum nächsten arbeitet sich der Film über einen Zeitraum von sechs Jahren vor, dabei wird kaum das Haus der Familie verlassen. Die Szenen außerhalb sind kurz, es geht um diese eine Familie und ihre Zerstörung – aktiv von Liz und dann auch von Josh betrieben. Dabei kann sich der Film ganz auf sein Darstellerensemble und die zugespitzten Konfrontationen verlassen, braucht keine äußerlichen Attraktionen. Zwei Jahre später hat sich Liz' Buch mehr als zehn Millionen Mal verkauft, während die USA zum Einparteiensystem geworden sind. Viral geht das Video einer Überwachungskamera, das zeigt, wie Ellen an einem Nachbarhaus die neu geschaffene US-Fahne herunterreißt. Ein Jahr später hat sie ihre Professur verloren und zu trinken begonnen. Im folgenden Jahr wird die Feier des 60. Geburtstags von Paul von einem Attentat auf Anna überschattet, nach dem sie untertaucht, gesucht als Staatsfeindin. Wieder ein Jahr später haben viele oppositionelle Intellektuelle das Land verlassen, andere werden überwacht. Zwei junge Frauen, die sich als Mitarbeiterinnen des Zensus vorstellen, erfragen intimste Dinge von Ellen und Paul, wissen sehr gut Bescheid über die schwierige Situation der Familie, stoßen Drohungen aus. Die zeigen am Ende Wirkung – ausgerechnet bei Ellen. Für mich die beklemmendste Sequenz des Films, ein erschreckendes Beispiel, wie Zivilcourage ausgetrieben werden kann.
Nach diesem nachhallenden Moment ist das Ende – wieder ein Jahr später – ein Paukenschlag an Gewalt und Gegengewalt, bei dem Widerstand und Resignation Hand in Hand gehen: das endgültige Aus dieser Familie. Das englischsprachige Debüt des polnischen Regisseurs Jan Komasa (»Corpus Christi«) ist modellhaft angelegt, gerät aber wegen der Komplexität der Figuren nie zum blutleeren Lehrstück. Man kann es als Kammerspiel-Gegenstück zu P. T. Andersons »One Battle After Another« sehen – zwei Filme, die die momentane Situation in den USA auf den Punkt bringen.








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