Kritik zu Ballad of a Small Player
Nach Kriegsgräben und Vatikanmauern nun die Casino-Neonhölle Macaus: Edward Berger schickt Colin Farrell als Glücksspieler in einem fiebrigen Taumel aus Schuld, Sucht und der Unmöglichkeit, sich selbst zu entkommen. Kino als Pop-Oper – grell, laut und exzessiv
Eine weitläufige Luxushotelsuite in Macau: Durch das bodentiefe Fenster flackert das Licht der Casinos über zerknitterte Bettlaken, leere Champagnerflaschen und volle Aschenbecher. Lord Doyle, gespielt von Colin Farrell, erwacht wie gerädert. Ein leichter Schweißfilm bedeckt sein Gesicht, der müde Blick ins Leere verheißt nichts Gutes. Hat er beim Baccara gestern gewonnen oder verloren? Er macht sich langwierig zurecht, legt wieder seine fast makellose Fassade an, während draußen das Versprechen immenser Gewinne lockt. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Er öffnet den Zimmertresor, will Geld herausnehmen. Ein weiterer Blick in gähnende Leere, kein einziger Schein. Nichts geht mehr. Es muss weitergehen.
Bereits in diesen ersten Momenten von Edward Bergers »Ballad of a Small Player« spiegelt sich das ganze Programm des Films – der Mensch als Ruine seiner Sehnsüchte, gefangen zwischen Glanz und Abgrund, zwischen Selbstverleugnung und der Hoffnung, dass das Glück vielleicht doch noch einmal vorbeischaut. Berger, der nach »Im Westen nichts Neues« und »Konklave« nun in die leuchtende Hölle Macaus hinabsteigt, wendet seinen Blick erneut auf einen Protagonisten, der an einem System zerbricht, das größer ist als er selbst. Während im Kriegsdrama die Maschinerie des Todes und im Vatikanthriller die Institution der Macht im Fokus standen, ist es hier das Casino als sakraler Raum des Zufalls, in dem die Erlösung in Jetons gemessen wird. Doch auch wenn die Schauplätze wechseln, bleibt Bergers Blick gleich: Er interessiert sich für Figuren, die im Angesicht des Absoluten – ob Krieg, Kirche oder Sucht – ihre Menschlichkeit aufs Spiel setzen.
Colin Farrell trägt diesen Film fast allein. Sein Hochstapler Doyle ist eine erschöpfte Erscheinung, halb Dandy, halb Geist, der durch die Hotellobbys und Spielsäle schwebt, als wäre er längst tot und wüsste es nur noch nicht. Berger und sein Kameramann James Friend (mit dem er bereits bei »Im Westen nichts Neues« arbeitete) tauchen die Stadt in ein gleißendes, fiebriges Licht. Ein Ort als Zustand. Jeder Reflex, jedes Spiegelbild, jede farbüberladene Totale scheinen die innere Leere und den Absturz zu dokumentieren.
Wie in Bergers früheren Filmen bleibt der Realismus nur Oberfläche. Schon in »Jack« (2014) war der Blick auf die Welt durch die Augen eines Kindes gefiltert, das lernen musste, Verantwortung zu übernehmen. Auch Doyle ist in gewisser Weise ein Kind, ein verlorenes, unbelehrbares, das an die Illusion seiner selbst glaubt. Berger liebt diese gebrochenen Figuren, die sich selbst Geschichten erzählen, um nicht zu zerfallen. Seine Protagonisten tragen Masken, ob Jack, Soldat Bäumer, Kardinal Lawrence oder nun Doyle; sie bewegen sich in Räumen, die sie einengen und definieren, und suchen darin eine Art von Würde.
Was seinen neuen Film, nach dem gleichnamigen Roman von Lawrence Osborne und produziert für Netflix, wo er zwei Wochen nach Kinostart verfügbar ist, von seinen Vorgängern unterscheidet, ist der Hang zum Exzess. Bestach »Konklave« durch Strenge und Struktur, so zelebriert Berger hier Dekadenz und Ornament. Die Kamera gleitet in opulenten Fahrten durch Spielsäle, Gänge und Hotelzimmer, während Volker Bertelmanns Score hypnotisch dröhnt. Die Ballade wird zur Operette. Visuell wiederholen sich Motive, ohne vertieft zu werden, und die Geister, die Doyle heimsuchen, erweisen sich als weniger metaphysisch denn metaphorisch. Die exzentrische Schuldeneintreiberin Cynthia Blithe (Tilda Swinton) und Dao Ming (Fala Chen), die den Spieler mit buddhistischer Ruhe verführt, bleiben eher Bedeutungsträger als glaubwürdige Figuren. So möchte der Film vieles zugleich sein: ein philosophischer Thriller, eine Liebestragödie, eine Allegorie über Gier, Schuld und Wiedergeburt. Doch die Teile dieses Gedankenspiels finden nicht immer zueinander.





Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns