Nachruf: Hartmut Bitomsky

Hartmut Bitomsky. Foto: Kaethe17 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hartmut-bitomsky-2024-werkstattkino.jpg), „Hartmut-bitomsky-2024-werkstattkino“, Beschnitten, Schwarz-Weiß Färbung, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

Foto: Kaethe17 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hartmut-bitomsky-2024-werkstattk...), „Hartmut-bitomsky-2024-werkstattkino“, Beschnitten, Schwarz-Weiß Färbung, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode

10.05.1942 – 24.09.2025

Die 1966 in Berlin gegründete Deutsche Film- und Fernsehakademie stand von Beginn an mitten in der deutschen Zeitgeschichte. Unter den Lehrenden waren mit Erwin Leiser (als künstlerischer Direktor) und Peter Lilienthal zwei zurückgekehrte jüdische Emigranten, unter den Studierenden der 1974 im Hungerstreik gestorbene Holger Meins, Harun Farocki und die feministische Pionierin Helke Sander. Und – keineswegs als Leisester – der am 24. September verstorbene Hartmut Bitomsky, der vom formal gewichteten Experimentalisten erst zum marxistischen Intellektuellen und dann zum Archäologen verschütteter deutscher Geschichte wurde. An der Hochschule selbst war er einer der Wortführer studentischen Unmuts, der sich mit Zuspitzung der politischen Lage durch die Ermordung Benno Ohnesorgs soweit radikalisierte, dass für viele der angehenden Filmschaffenden ihr Metier von der autonomen Kunst zu einem Moment des revolutionären Kampfes wurde.

Geboren wurde Bitomsky 1942 in Bremen, wo er das Kino über die stationierten US-Soldaten kennenlernte. Nach einem begonnenen Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Publizistik schafft es der Sohn eines Architekten dann in den sorgfältig verlesenen ersten Jahrgang der dffb, wo er bald gemeinsam mit Meins, Farocki, Sander und Christian Ziewer in der weitgehend autonomen Regiegruppe von Otto Dmelin lernt. Als nach wenigen Studienmonaten mit Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai 1968 auch die dffb bestreikt wird, bekommt Bitomsky nach einer Belagerung des Direktorats gemeinsam mit anderen Studenten eine Relegation, kann sich aber nachträglich ein Abschlusszeugnis aushandeln. Als späte ironische Wende dieser Episode darf gelten, dass Bitomsky 2006 nach zwölf Jahren als Dekan am California Institute of the Arts selbst als Direktor an die dffb zurückkehren wird. Sein letzter, während dieser Jahre entstandener Film »Staub« (2007) kam vermutlich auch wegen Aufmerksamkeits-Entzugs durch Umzug und neue Aufgaben enttäuschend konventionell daher.

1967 arbeitete Bitomsky gemeinsam mit dem Ex-Kommilitonen Farocki außerhalb der Hochschule an einigen durch die Ästhetik Bertolt Brechts beeinflussten Lehrfilmen zur marxistischen Ökonomie (»Eine Sache, die sich versteht (15 mal)«, 1971) und Texten zur Praxis eines Kinos, das sich an der Lebenswirklichkeit seines erhofften Publikums orientiert. Eine geplante Serie von Filmen zur »Sprache der Bilder« blieb mangels Finanzierung Fragment, fand inhaltlich aber Niederschlag in einem Buch mit dem schönen Titel »Die Röte des Rots von Technicolor« (1972), das in der Gestaltung als kubistische Collage von Textstücken daherkommt.

In der Zeit begannen auch andere bild-forschende Projekte Bitomskys: die Mitarbeit an der legendären Zeitschrift Filmkritik, die er – auch mit seinem elitären Sprachduktus – bis zum Ende 1984 prägte. Und Arbeiten für den WDR, wo sich der Filmemacher aus Frust über Niederungen und »kommerzielle Zensur« des zeitgenössischen Filmschaffens (und angestachelt wohl auch durch den Misserfolg von zwei eigenen Spielfilmen) zunehmend der Filmgeschichte widmete. Redakteur beim WDR war Werner Dütsch, mit dem Bitomsky fünfzehn Jahre zusammenarbeitete und Mitte der 1970er zwei Mehrteiler zum frühen Kino gestaltete, deren argumentatives Instrumentarium sich zunehmend verfeinerte.

Konsequente Weiterentwicklung fanden diese Arbeiten mit dem Film »Deutschlandbilder« (1983, ebenfalls WDR), der die Propaganda-Welt der NS-Kultur einer formal ausgefeilten kritischen Befragung unterzieht, die auch praktische Kritik an der bis heute gängigen affirmativen medialen Verwertung dieser Bilder ist. Die von ihm perfektionierte Kombination von fragendem Kommentar mit der Analyse von Filmstills ergänzt er für »Reichsautobahn« (1986) und »Der VW-Komplex« (1989) mit anderen dokumentarischen Formen. Inhaltlich erweitert die Untersuchung von Massenmobilisierung und Ende der Industriearbeit seine Bild-Archäologie zu einer materiellen Geschichte der BRD. In der aktuellen Situation dürften besonders diese Filme von Bitomskys »Deutschland-Trilogie« mit großem Erkenntnisgewinn zu sehen sein. Schade, dass sie bisher nicht (etwa auf DVD) zur individuellen Sichtung verfügbar sind.

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