Nahaufnahme von Ayo Edebiri

Die Smarteste im Raum
Ayo Edebiri in »After the Hunt« (2025). © Yannis Drakoulidis / Amazon Content Services LLC.

Ayo Edebiri in »After the Hunt« (2025). © Yannis Drakoulidis / Amazon Content Services LLC.

In der Gastro-Serie »The Bear« bewahrt Ayo Edebiri auch im Chaos Ruhe. Dabei ist die Frau aus Boston doch so ­umtriebig: Sie schreibt, inszeniert und macht Stand-up-Comedy. In »After the Hunt« zeigt sie nun ihre dramatische Seite

Die klügste Person im Raum – das ist im Restaurant »The Bear« in Chicago, dem Setting der gleichnamigen Serie, eigentlich immer Sydney Adamu. Seit mittlerweile vier Staffeln ist es die junge Köchin, die den Launen ihres Bosses Carmy ebenso standhält wie unermüdlichen Familienstreitigkeiten. Die inmitten des Chaos die Ruhe bewahrt und in ihrer kulinarischen Expertise immer selbstsicherer wird. Und die mit Empathie an die Mitarbeiter*innenführung herangeht und mit realistischem Weitblick nach vorne schaut (und entsprechend zusehends ihre Position in diesem Gefüge hinterfragt).

Dass Sydney zu den besonnensten, smartesten und in all ihrem Können reizvollsten Serienfiguren der vergangenen Jahre gehört, liegt nicht nur an den gelungenen Drehbüchern von »The Bear«-Schöpfer Christopher Storer und seinem Team. Es ist vor allem Ayo Edebiri, die diese Rolle nicht nur zum Leben erweckt, sondern ihr mit Witz und Köpfchen eine geerdete Präsenz verleiht, der man sich kaum entziehen kann. Weswegen es wenig überrascht, dass die in diesem Herbst 30 Jahre alt werdende Schauspielerin mit der Serie quasi über Nacht berühmt und u. a. mit dem Emmy ausgezeichnet wurde.

Trifft man Edebiri, die in Boston als Tochter eines nigerianischen Vaters und einer Mutter aus Barbados geboren wurde, zum Interview, merkt man schnell, dass sie Sydney in Sachen Ausstrahlung und Verstand mühelos das Wasser reichen kann. Beim Pressegespräch anlässlich der Weltpremiere ihres neuen Films »After the Hunt« während der diesjährigen Filmfestspiele in Venedig – an einem Tisch mit Ko-Star Andrew Garfield sowie etlichen Journalist*innen sitzend – spricht jedenfalls niemand so unaufgeregt und klar, ganz gleich, ob es um die Filmsprache von Luca Guadagnino oder soziopolitische Identitätsmarker in Gesellschaftsdebatten geht.

»After the Hunt« ist ein Film, in dem es nur so wimmelt von klugen Menschen. Edebiri spielt Maggie, eine queere Philosophie-Doktorandin in Yale, deren Dissertation langsam Gestalt annimmt. Die Adoptivtochter reicher Eltern verehrt ihre Professorin Alma (Julia Roberts) und wirkt bei Dinnerpartys, umgeben von deren Psychiater-Gatten (Michael Stuhlbarg), Almas Kollegen Hank (Andrew Garfield) und ihren Kommiliton*innen, ihren Gesprächspartner*innen immer mindestens einen Schritt voraus. Doch dann kommen Zweifel auf, an Maggies Arbeit genauso wie an ihren Vorwürfen bezüglich einer schwerwiegenden Grenzüberschreitung Hanks.

»Heute mehr denn je scheint es fast immer unser erster Impuls zu sein, Gespräche und Diskussionen zu vermeiden oder zumindest an der Oberfläche zu verweilen. Ans Eingemachte, wo es kompliziert, verwirrend und unangenehm werden könnte, wollen wir kaum mehr gehen«, sagt die Schauspielerin mit Blick darauf, was sie an »After the Hunt« besonders reizte. »Aber gerade diese Abgründe will Luca zeigen und so echte Konversationen anregen. Das finde ich aufregend.« 

Sie fährt fort: »Die Figuren in dieser Geschichte haben einiges gemeinsam, etwa wenn es um Verdrängung geht oder um das Gefühl, sich an Orten und Positionen behaupten zu müssen, an denen sie sich womöglich eigentlich nicht zugehörig fühlen. Aber an keiner manifestieren sich genau diese Themen so konkret wie an Maggie. Selbst ganz am Schluss wird man das Gefühl nicht los, ihre vermeintliche Abgeklärtheit und ihre Zufriedenheit könnten doch performativ sein.« 

Für Edebiri dürfte »After the Hunt« ihre bislang dramatischste Rolle sein; sie spielt Maggie als permanente Gratwanderung, privilegiert und diskriminiert gleichermaßen, sowohl Opfer als auch Täterin. Ohne den gleichen Raum für das Entfalten innerer Komplexitäten zu haben wie in vier Staffeln »The Bear«, gelingt ihr doch eine ähnlich nuancierte Darstellung. Und das ganz ohne Humor, der in der Serie keine ganz kleine Rolle spielt (auch wenn die Kategorisierung als Comedy-Serie bei den Emmy Awards und Golden Globes weiterhin nicht wirklich passend scheint).

Das Komödiantische ist dabei eigentlich Edebiris künstlerische Heimat. Während ihres Studiums in New York (wo sie ihr Hauptfach von Pädagogik zu Szenischem Schreiben wechselte) begann sie, Stand-up-Erfahrungen zu sammeln und machte ein Praktikum bei der Impro-Comedy-Institution Upright Citizens Brigade. Mit ihrer engen Freundin Rachel Sennott entwickelte sie 2020 für den Sender Comedy Central eine eigene kleine Show, einige Jahre später brillierten die beiden als lesbische Schülerinnen in Emma Seligmans Komödie »Bottoms«, die es nie in die deutschen Kinos schaffte, obwohl sie zu den komischsten Filmen der letzten Jahre gehört. Auch als Host bei »Saturday Night Live«, mit einer Gastrolle in »Abbott Elementary« oder als Sprecherin im Pixar-Hit »Alles steht Kopf 2« durfte sie ihr Gespür für Witz und Timing bereits unter Beweis stellen.

Dass Edebiri allerdings nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera mit Talent gesegnet ist, gerät dieser Tage zwischen »The Bear« und nun dem großen Guadagnino-Aufschlag fast in Vergessenheit. Dabei hatte sie ihre ersten Erfolge nicht zuletzt als Autorin gefeiert, nicht nur online und mit eigenen Podcasts, sondern vor allem in den Writers' Rooms von Serien wie »Big Mouth«, »Dickinson« (wo sie in Staffel 2 auch eine Nebenrolle übernahm) oder »What We Do in the Shadows«. In der vierten Staffel von »The Bear« inszenierte sie obendrein die Episode »Napkins«, wofür sie jüngst sogar für den Emmy nominiert wurde.

Aktuell arbeitet sie gemeinsam mit ­Daniel Kaluuya an einer Leinwandversion der Kinderserie »Barney und seine Freunde« über den gleichnamigen, lilafarbenen Dinosaurier. Außerdem unterstützt sie Tausendsassa Will Sharpe als Hauptdarstellerin und Executive Producerin bei dessen neuer RomCom-Serie »Prodigies«, die 2026 bei AppleTV+ laufen soll. Ansonsten sucht Edebiri, die im Januar auch in James L. Brooks' neuer Kinokomödie »Ella McCay« zu sehen sein wird und demnächst mit der Arbeit an der fünften Staffel von »The Bear« beginnt, weiterhin nach neuen Herausforderungen. Was konkret bedeutet, dass sie im kommenden Frühjahr erstmals am Broadway auf der Bühne stehen wird. An der Seite von Don Cheadle übernimmt sie die weibliche Hauptrolle in der Neuauflage von David Auburns »Der Beweis« – und wird sich in dem Stück über die Tochter eines Mathe-Genies wieder auf ihr Talent verlassen können, alle um sich herum mit ihrer einnehmenden Intelligenz eher alt aussehen zu lassen.

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