Kritik zu While the Green Grass Grows
In seinem bislang persönlichsten Film begleitet Peter Mettler poetisch das Sterben seiner Eltern und preist gleichzeitig das Leben, ohne in Kitsch abzugleiten
»All time is all time«, zitiert Peter Mettler einen sogenannten Tralfamadorianer, eine fiktive Spezies aus Kurt Vonneguts Science-Fiction-Werken. Diese Außerirdischen sehen Zeit nicht wie Augenblicke, die nacheinander wie Perlen an einer Schnur aufgereiht sind, sondern wie einen Gebirgszug von oben, als Ganzes. Genau so funktioniert auch Mettlers Dokumentarfilm »While the Green Grass Grows«. Der Regisseur lädt dazu ein, durch sein Gedächtnis zu blättern, Augenblicke zu durchstreifen und in seinen Erinnerungen vor- und zurückzuspringen.
Ob »Picture of Light« (1994), »Gambling, Gods and LSD« (2002) oder »Becoming Animal« (2018), immer geht es bei Mettler mehr oder weniger explizit um die Natur und ihr kontinuierliches Werden und Vergehen, aber auch um unsere Rolle als Menschen in diesem komplexen System. »While the Green Grass Grows« ist sein bisher persönlichstes Werk. Es ist die knapp dreistündige Montage des ersten und sechsten Teils eines sieben Teile umfassenden, audiovisuellen Tagebuchs, mit dem er vor allem die letzten Jahre seiner rund 90-jährigen Eltern Julie und Freddy begleitet. Die Stärke liegt dabei nicht nur in den poetischen Bildern, den abstrakt-expressiven Zwischensequenzen und der Intimität und Offenheit, mit der Mettler all dies filmt und arrangiert. Die achronologische Erzählweise versetzt uns als Betrachter*innen selbst in die Position der oben zitierten Tralfamadorianer: Wir sehen zwar nicht alle Augenblicke gleichzeitig, bewegen uns mit dem Film aber in der Zeit vor und zurück.
In einem Moment haben wir daran Teil, wie Freddy die Asche seiner verstorbenen Frau dem Rhein übergibt. Später tanzt sie wieder ausgelassen durch den Flur des Hauses in Toronto. Die Sequenz ist künstlerisch verfremdet, Julie ist kaum zu erkennen, sie hat etwas Flüchtiges, wirkt fast wie ein Geist. Die Szene korrespondiert mit dem Ende des Films, wenn auch Freddys Körper längst dem Feuer übergeben wurde und er plötzlich wieder gemeinsam mit Julie in dem Haus, das der Regisseur gerade noch leer geräumt hat, durch das Wohnzimmer schwoft.
Dazwischen führt Mettler Gespräche mit seinen Eltern, verrät hier und da biografische Fragmente. Er spaziert durch die Natur, tastet diese mit der Kamera ab und philosophiert mit Freund*innen über das Leben, den Tod, das Jenseits und Reinkarnation. Wie das bei Tagebuchfilmen so gehen kann, kommt ihm unvorhergesehen die Covid-19-Pandemie dazwischen und zwingt ihn – so wie die ganze Welt – innezuhalten. Mettler gelingt es in all seinen Naturbetrachtungen, im liebevollen Blick auf seine Eltern und auf der Suche nach Transzendenz, niemals in Kitsch oder Rührseligkeit abzugleiten. Er filmt, wo es nötig ist, auch den Tod selbst. Ein poetischer und weiser Film, der einen in seiner Betrachtung und der Zeit, die er sich für den Abschied nimmt, in eine Art Trance versetzt. Es ist die filmische Entsprechung des Energieerhaltungssatzes, laut dem nichts im Universum je verloren geht, was letztlich eine sehr tröstliche Vorstellung ist.
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