Kritik zu Reflection in a Dead Diamond
Das französische Regie-Duo und Ehepaar Cattet und Forzani arbeitet weiter an einem Kino der reinen Schaulust – und offenbart bisher ungeahnte Qualitäten
Mario Bavas »Gefahr: Diabolik!« von 1968 ist vor allem für eine Sequenz bekannt: Der Superverbrecher des Titels vergnügt sich auf einem Bett in Herzform mit seiner Geliebten in einem Meer aus Geldscheinen. Es ist eine Sequenz, die direkt auf die Schaulust des Publikums zielt. Sie fasziniert auch losgelöst vom Plot des Films.
Das italienische Exploitation-Kino der 1960er und 1970er Jahre, für das Bavas Filme stellvertretend stehen, nehmen im Schaffen des französischen Regie-Duos und Ehepaars Hélène Cattet und Bruno Forzani seit jeher eine Schlüsselrolle ein. Auch sie stehen für ein Kino der Schaulust, und so wie Bava lange Zeit als Trash-Filmer abgetan wurde und mittlerweile von Filmfestivals wie Genrefans mit gleicher Hochachtung rezipiert wird, agieren auch sie an der Schnittstelle zwischen Kunstkino und Genrefilm – voller Referenzen auf Bava und seine Mitstreiter.
Nachdem sie für ihre ersten beiden Filme, »Amer – Die dunkle Seite deiner Träume« und »Der Tod weint rote Tränen«, den Giallofilm und für ihren letzten, »Leichen unter brennender Sonne«, den (Italo)Western als stilistische Vorlage wählten, widmen sich Cattet und Forzani in »Reflection in a Dead Diamond« dem Eurospy-Genre. Gemeint sind damit billig produzierte James-Bond-Rip-offs aus Italien, Frankreich oder Spanien, wie sie von den 1960ern bis Mitte der 1970er populär waren – zum Beispiel Bavas »Diabolik«.
Die Handlung dieser Filme war meist dünn und auch die Story von »Reflection in a Dead Diamond« beschränkt sich auf das Wesentliche: Der 70-jährige Ex-Spion John Diman (gespielt von Fabio Testi, einer Ikone des Italo-Kinos) ist in ein Hotel an der Côte d'Azur gezogen, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Als sich mysteriöse Ereignisse in seinem Luxusheim häufen, beschleicht ihn der Verdacht, dass seine Feinde von früher zurückgekehrt sind, um sich zu rächen. Oder ist alles nur Einbildung?
Cattet und Farzani dient dies als Grundlage, um eine Welt der entfesselten Bilder zu entfalten: Nahaufnahmen von Augen, gleitende Kamerafahrten, Überblendungen, plötzliche Einschübe von Comicstrips oder Bond-intro-artigen Sequenzen. Die Lust am Zitat reicht von Bavas »Diabolik« über »Blutige Seide« bis zu Lucio Fulcis »Nackt über Leichen« oder Umberto Lenzis »Nightmare Beach«. Der Film treibt die Topoi und Gestaltungsmittel der Vorbilder zum absoluten Exzess.
Im Laufe des Films verschwimmen die Grenzen zwischen Einbildung und Realität immer mehr. War John überhaupt je Agent, oder ist er Opfer eigener oder fremder Projektionen? »Reflection« entwickelt sich zum Vexierspiel zwischen verschiedenen Wahrnehmungsebenen sowie zur Reflexion über Wahrnehmung und Erinnerung – und das Kino selbst, das ja stets zwischen Realität und Fiktion vermittelt. Cattet und Farzani präsentieren sich hier als raffinierte Geschichtenerzähler. Zugleich wirkt der Film wie der finstere Zwilling der Agentenfilme, die er zitiert. Deren Exotismus, Rassismus und Gewaltlust gegenüber Frauen werden unverblümt sichtbar gemacht und grotesk übersteigert. In einer Rückblende zieht John seiner Gegenspielerin etwa eine Latexmaske nach der anderen ab – was sowohl als »Mission: Impossible«-Anspielung gewertet werden kann als auch als Kommentar auf das »Verheizen« von Frauenfiguren und Schauspielerinnen im Genre. »Reflection in a Dead Diamond« ist somit vor allem der Film, der die Kritiker abstraft, die in Cattet und Farzani bisher nichts anderes als reine Formalisten sahen. Er beweist: Die beiden wissen, wie man Geschichten erzählt und haben durchaus etwas zu sagen.
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