Nachruf: Terence Stamp
Terence Stamp
22.07. 1938 –17. 08. 2025
Sein Kindheitstraum, unsichtbar zu sein, erfüllte sich zum Glück nicht. Er war vielleicht ohnehin nur die Koketterie eines Jungen, der bald herausfand, wie sehr er es genoss, betrachtet zu werden. Die Kamera liebte ihn von Anfang an. In »Die Verdammten der Meere« entdeckte sie 1962 ein Engelsgesicht wie von Botticelli gemalt. Für seinen zweiten Kinoauftritt als tragischer Matrose Billy Budd, dem seine Schönheit zum Verhängnis wird, erhielt Terence Stamp prompt eine Oscar-Nominierung.
Fortan haftete ihm ein Flair des Überirdischen an, das 1968 in der Rolle des namenlosen Gastes in Pasolinis »Teorema« kulminierte. Wie ein zärtlicher Verkündigungsengel erschien er in der Villa einer Industriellenfamilie, um das Begehren sämtlicher Haushaltsmitglieder zu erlösen. Auf dem Terrain des Jenseitigen fand er indes auch Platz für das Dämonische, explizit in Fellinis diabolischem Episodenfilm-Segment »Toby Dammit« (1968). Vier Jahre zuvor hatte er in Der Fänger bereits die Abgründe der Durchschnittlichkeit ausgelotet, als Büroangestellter, für den es ein kleiner Schritt ist vom Schmetterlingsfang zur Entführung einer jungen Frau. Den feindseligen Zug seiner romantischen Erscheinung offenbarte er 1967 in »Die Herrin von Thornhill«. Da umwarb er Julie Christie mit bedrohlichem Säbelrasseln und entpuppte sich bald als verächtlicher Lebemann, dessen Zynismus Stamp indes mit einem Bodensatz an Kränkung und Verletzbarkeit ausstattete.
Seine Karriere war nicht nur den herzzerreißend blauen Augen geschuldet. Der im Londoner East End als Sohn eines Schleppkahn-Heizers geborene Stamp hatte eine gründliche Ausbildung absolviert. So landete er mitten im Fischteich der Talente, der im England der frühen 1960er unerschöpflich schien. Alan Bates, Michael Caine (mit dem er lange zusammenwohnte und um die Titelrolle in »Alfie« konkurrierte), Christie und viele andere legten den Grundstein zu lang andauernden Karrieren. In Ken Loachs Poor Cow konnte Stamp an seine proletarischen Wurzeln anknüpfen. Vor allem jedoch gab er der frischen Dekadenz der Swinging Sixties leichtfertige Gestalt. Als Gehilfe der Superspionin Monica Vitti in »Modesty Blaise« behielt er den wuchtigen Cockney-Akzent bei; es genierte den begnadeten Narziss übrigens nicht, in dieser knisternd platonischen Beziehung die zweite Geige zu spielen. Die Boulevardpresse war derweil gefesselt von seinem Privatleben, insbesondere den Liebschaften mit Christie und dem Topmodel Jean Shrimpton. Er avancierte zum Sexsymbol, in fast jedem seiner Filme war er mit nacktem Oberkörper zu sehen.
Nach seinem Italien-Ausflug fand er kaum noch vielschichtige Rollen. Er verabschiedete sich vom Filmgeschäft und begab sich für fast ein Jahrzehnt auf Selbstfindungsreisen, die in einem Ashram in Poona endeten. Dort erreichte ihn 1977 ein Telegramm, das an einen gewissen »Clarence Stamp« adressiert war. Richard Donner wollte ihn als General Zod in »Superman« besetzen und Peter Brook als Guru in »Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen«. Die Karrierepause hatte ihn nicht nur spirituell bereichert. Seine Präsenz war jetzt reifer, konzentrierter. In Nebenrollen genügten ihm schon wenige Momente, um den Charakteren – oft einschüchternde Machtfiguren – Gewicht und Kontur zu verleihen. Seine Gesichtszüge waren noch markanter geworden; Stamps Schönheit schien gleichsam in ihrer Verwitterung konserviert zu sein. Der Part der Drag Queen in »Priscilla, Königin der Wüste« profitierte 1994 gehörig davon.
Meist war er unterbeschäftigt, erstritt sich aber charismatische Hauptrollen, die von der Rückkehr des Verdrängten handelten. In »The Hit« (1984) spielte er einen Polizeiinformanten, der im spanischen Exil mit philosophischer Gelassenheit die Rache seiner ehemaligen Komplizen erwartet; in »Beltenebros« (1991) verkörperte er einen britischen Ex-Kommunisten, der Jahrzehnte nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs einen Verräter aufspüren muss. Unter der Regie von Steven Soderbergh zog er in »The Limey« (1999) eine Bilanz seiner Ausdruckslinien. Noch immer schillerte seine Leinwandpersona zwischen Unschuld und Verworfenheit und das schlaksige Körperspiel der 60er Jahre steckte ihm noch in den Knochen. Die Rolle des Ex-Sträflings, der in Los Angeles den Mörder seiner Tochter sucht, schien ihm auf den Leib geschrieben: Der Wiedergänger war neun Jahre fort – genauso lang, wie Stamp sich einst für die Kamera unsichtbar gemacht hatte.
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