ZDF-Mediathek: »High Stakes«

»High Stakes« (Serie, 2025). © ZDF/Jürgen Olczyk/Mario Stumpf/Marco Nagel

© ZDF/Jürgen Olczyk/Mario Stumpf/Marco Nagel

Pokern für den Lebenstraum

Seit ihrer Kindheit zieht es Ayla ins All. Ihr Astrophysik-Studium hat sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen, nun bewirbt sie sich um einen Praktikumsplatz bei der NASA. Mit viel Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft bekommt sie ihn sogar – allerdings muss sie dafür binnen sechs Wochen 22.000 Euro auftreiben, für Flug, Unterkunft, Lebenshaltungskosten. Von ihren Eltern kann Ayla keine Unterstützung erwarten: Vater Adil hat soeben Aylas Bruder Tolga 50.000 Euro »Darlehen« für sein Start-up gewährt, das eine Dating-App für Muslime entwickelt – auch für queere. Von seiner Tochter hingegen erwartet der Vater, dass sie den »unrealistischen Schwachsinn« aufgibt und sich als Versicherungsmathematikerin in seiner Firma bewirbt.

Schon die erste Folge von »High Stakes« skizziert eine differenzierte Konstellation: Aylas Eltern sind moderne türkischstämmige Münchner, die ihren Kindern viele Freiheiten lassen. Ayla ist die einzige in der Familie, die als Muslima ihren Glauben aktiv praktiziert, samt Kopftuch – die Mutter trägt keines. Dennoch hat die Toleranz Grenzen: Tolga (Eren Kavukoğlu) traut sich nicht, sich vor seinen Eltern als schwul zu outen, und Ayla durfte zwar in Heidelberg studieren, soll aber jetzt doch »bei der Familie« bleiben. Mindestens so interessant ist, dass Naturwissenschaft und Glauben für Ayla keinen Widerspruch darstellen, was sie mit der Präzision der Mathematikerin auch begründen kann.

Über eine spielerische Pausenrunde in Tolgas Team entdeckt Ayla ihr Talent für Poker. Später, als sie in einem Club vergeblich von Tolga fordert, sie am väterlichen Darlehen zu beteiligen, beobachtet sie ein illegales Pokerspiel im Hinterzimmer. Zudem scheint Vincent (Jannik Schümann), der heimliche Lover ihres Bruders, sehr vertraut mit dem Spiel zu sein. Ayla fasst den Plan, sich das Geld über Pokerrunden zu erspielen. Vincent soll sie trainieren. Denn Ayla kann zwar Wahrscheinlichkeiten kalkulieren, aber die Komponenten Psychologie und Beobachtung muss sie erst lernen.

Damit bauen sich fesselnde Spannungsbögen auf, in denen es um mehr geht als die Frage, ob Aylas Plan aufgeht. Denn zum einen knistert es zwischen Ayla und dem ebenso charismatischen wie undurchschaubaren Vincent. Zum anderen gerät Ayla in Konflikt mit ihren ethisch-religiösen Überzeugungen: Glücksspiel ist »haram« (nach islamischem Glauben verboten), Lügen, also Bluffen, ebenso. Daher schafft sie sich ein zweites Ich: Aus Ayla, die am Spieltisch vom windigen Clubeigentümer noch abfällig als »Kopftuchmädchen« bezeichnet wird, wird »Nina«, eine gestylte Frau mit Perücke und undurchdringlicher Miene, die sich in ein männlich dominiertes Haifischbecken begibt. Die (kriminellen) Abgründe sind dabei immer präsent – auch Vincent ist darin verstrickt, mit 500.000 Euro steht er beim Clubchef in der Kreide, mit Aylas Pokertalent hofft er, sich aus der Abhängigkeit zu befreien.

Visuell reizvoll sind die Kontraste zwischen den Aufnahmen ferner Galaxien, der stillen Kühle des Universums wie auch des Wassers, in das Ayla immer wieder eintaucht, und den verrauchten, aufgeheizten Pokerrunden. Der erzählerische Bogen hält die Spannung aufrecht, wartet mit überraschenden Wendungen auf. Um zu erzählen, wie viel Zeit noch bleibt, die Summe aufzutreiben, genügen kurze Einblendungen; anderes wird über WhatsApp-Nachrichten, Handy-Aufnahmen und Videocalls erzählt.

Großartig ist die Besetzung. Via Jikeli als Ayla ist jeden Zoll überzeugend in ihrer Zerrissenheit, ihren inneren Kämpfen. Jannik Schümann hält bis in die letzte Folge die innere Spannung über Vincents Gefühle und Motive. Was darüber hinaus an »High Stakes« hervorsticht, ist die zeitgemäße Selbstverständlichkeit im Umgang mit Themen und Figuren: eine gläubige Muslima, die erfolgreich ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, die Diversität sexueller Orientierungen, eine liberale türkische Familie, Aylas Wechsel zwischen Deutsch, Englisch, Türkisch. All das wird gar nicht erst verhandelt, sondern ist schlicht als Rahmen gesetzt, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Menschen und ihre Widersprüche, Konflikte, Entwicklungen.

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