25. Nippon Connection Filmfestival
»The Solitary Gourmet« (2024). © »Solitary Gourmet« Film Partners
Nippon Connection ist Hessens bestbesuchtes Filmfestival: mit 20 000 verkauften Tickets in diesem Jahr. Alle vom Japankino »besessen« . . . So auch das Thema der 25. Ausgabe
»Mozart, Klavierkonzert Nr. 21«, haucht eine Frauenstimme ins Mikro. »Walter Klein ist der Pianist. Es spielt das Mainzer Kammerorchester.« Dann ertönt das Krrck, das unverkennbare Geräusch der in Vinyl eintauchenden Nadel eines Tonabnehmers. Nein, das ist keine altmodische Radioübertragung. Es geht um Cafés, in denen Menschen einer scheinbar aus der Zeit gefallenen Leidenschaft frönen: Sie hören, und zwar auf rituelle Weise, gemeinsam Vinylschallplatten.
»A Century in Sound« porträtiert das in Japan verbreitete Phänomen der »Ongaku Kissa«, intimer Cafés, in denen man Schallplatten unter besten audiophilen Bedingungen hören kann. Diesen Listening Bars – die bei uns seit einiger Zeit Nachahmer finden – widmen die Neuseeländer Nick Dwyer und Tu Neill eine liebenswürdige Hommage. Ihre zurückhaltend gefilmten Besuche bei High-End-Mönchen bringen das Thema des diesjährigen Nippon-Filmfestivals auf den Punkt: »Obsessions – From Passion to Madness«.
Im Westen wird die Obsession ja eher mit sexuellen Perversionen, übersteigerter Fixierung und Kontrollverlust verbunden. Nicht so in Japan. Anlässlich seines Jubiläums zeigte Nippon Connection eine große Bandbreite von Filmen, in denen typisch japanische Leidenschaften mit dem subtilen Bestreben nach Verfeinerung, Perfektion und Sublimierung verbunden sind. Das gilt besonders für die 83-jährige Keiko Ishihara, die in ihrem Café nur europäische Klassik auflegt. Porträtiert wird auch der nicht viel jüngere Masahiro Yoshida. Seine Hornlautsprecher sehen aus wie sakrale Skulpturen in einer Kirche. Jazz ist »pure Freude, am Leben zu sein«, sagt er. Und wenn er eine Platte auflegt, ist das ein wenig wie eine Heilige Kommunion zwischen Klang und Technik. Es geht hier nicht um Nostalgie und Vintage. Sondern einzig um Perfektion. Im Audiobereich ist die nun mal analog. Über Digitalisierung redet in dieser Szene niemand.
Die Kultur der Verfeinerung gilt nicht nur dem audiophilen Hören. »The Solitary Gourmet«, die Kinoadaption der gleichnamigen TV-Show, handelt von der Veredelung der Gaumenfreude. Die Hommage an den Nudelsuppen-Western »Tampopo« erzählt von einem Dienstleister, der wohlhabenden Kunden exklusive Wünsche erfüllt. Nun soll er im Auftrag eines Exiljapaners das Suppenrezept ausfindig machen, mit dem seine Großmutter ihn einst verwöhnte. Vom Kochen hat Goro Inogashira, gespielt von Regisseur Yutaka Matsushige, zwar keine Ahnung. Da ihm aber regelmäßig der Magen knurrt, kommt es zu einer Reihe alltagssurrealer Begegnungen, bei denen die Lust an der Verfeinerung vermeintlicher Banalitäten – Zwiebelsuppe –
auf unwiderstehliche Weise aufblitzt.
Die »Obsessions« beziehen sich nicht nur auf inhaltliche Motive. Insbesondere die Form japanischer Filme ist geprägt von einer durchgehenden Eigenart, die man meist nur unterschwellig zur Kenntnis nimmt. Ob Dokumentarfilm oder Fiction: Nahezu jede japanische Produktion zeigt eine auffällig cleane Aufgeräumtheit, auch in der ästhetischen Struktur. Sauberkeit und Hygiene prägten selbst Filme mit schmutzigen Motiven, etwa »Hotspring Shark Attack«, eine Parodie auf den »Weißen Hai«, der seine Opfer bis in die Badewanne verfolgt.
Das Thema der verfeinerten Obsessionen zieht sich durch eine erstaunliche motivische Bandbreite, so auch durch Kazuya Shirashis Samurai-Epos »Bushido«. Das Schwert wird hier nur selten gezogen, die Kontrahenten tragen ihren sublimierten Zwist beim Go-Spiel aus, einem der ältesten Brettspiele überhaupt. Um das komplexe Innenleben unseres Organismus geht es in der Liebesgeschichte zwischen einem roten und einem weißen Blutkörperchen, die Hideki Takeuchi in der furiosen Manga-Adaption »Cells at Work!« bebildert. Auf den Spuren von »Die phantastische Reise« bietet der bonbonfarbene Abstecher ins Innere unseres Körpers einen wissenschaftlichen Mehrwert. »Cells at Work!« könnte als Lehrfilm in Schulen laufen.
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