Ein Komet, der bleibt

Im Frühjahr 1988 hatte ich unwahrscheinliches Glück. Ich sah einen Film, der eigentlich nicht zu sehen war. Dabei handelte es sich keineswegs um eine geheime Vorführung, ich musste einfach nur in das Programm des Arsenal schauen, das damals noch in der Welserstraße beheimatet war, um dort „Bluebeard's Castle“ zu finden.

Es handelt sich um Michael Powells Verfilmung der Kurzoper „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók, deren Libretto Béla Balász verfasst hatte, der später zum sympathischsten aller Filmtheoretiker avancierte. Ich war besonders neugierig auf die Adaption, weil einige Monate zuvor die Berlinale Retro „Color- Die Geschichte des Farbfilms“ stattgefunden hatte, auf der viele von uns zum ersten Mal die verwegenen Farbfilme von Powell&Pressburger (sowie ihres Kameramanns Jack Cardiff) entdeckt hatten.

Das Institut für Theaterwissenschaften an der FU Berlin, wo ich damals studierte, griff das Thema umgehend in einem Seminar auf, in dessen Verlauf wir unsere Kenntnisse in Sachen P&P vertiefen konnten. Zusammen mit einer Kommilitonin hielt ich ein Referat über die raffinierte Ursprünglichkeit, die das Technicolor bei ihnen besaß. Ich war allerdings der einzige Student, der die Rarität im Arsenal gesehen hatte und stand nicht an, mit meinen Entdeckungen zu renommieren. Als Erstes wollte unser Dozent Michael Esser von mir wissen, ob Powell auch hier mit farbigem Licht arbeitete. Ganz ausführlich, berichtete ich stolz.

Allerdings setzten bereits die Dekors von Hein Heckroth starke, expressive Akzente. Über den befreundeten Szenenbildner war Powell übrigens 1963 an diesen einmaligen Auftrag gekommen. Norman Foster, ein US-amerikanischer Bass-Bariton, wollte eine Reihe von Opernverfilmungen in Kooperation mit dem Süddeutschen Rundfunk produzieren; womöglich hatte Powells Version von „Hoffmanns Erzählungen“ als Visitenkarte fungiert. In der britischen Filmindustrie galt der Regisseur seit dem Skandal um „Peeping Tom“ als Paria, drehte nun gelegentlich Episoden für TV-Serien und trug sich mit Plänen, aus denen nie etwas wurde. Das Angebot kam ihm mithin gerade recht. Bartóks Oper kannte er zwar nicht, fing aber augenblicklich Feuer, nachdem er eine Aufnahme der Berliner Philharmoniker mit Dietrich Fischer-Dieskau gehört hatte. Budget und Drehplan (achteinhalb Tage) waren knapp bemessen. Heckroths Team bestand aus Studenten, die er in Frankfurt unterrichtete. Gedreht wurde in einem Studio in Salzburg. Besonders angetan war der Regisseur von Fosters Partnerin, dem aus Uruguay stammenden Mezzosopran Ana Raquel Satre. Farbe war seinerzeit beim Fernsehen noch die Ausnahme, auch in dieser Hinsicht durfte sich Powell als Avantgardist fühlen. „Drehen wir in Technicolor?“ wollte er von seinem Freund wissen, der sibyllinisch versicherte, das Filmmaterial würde in deren Kopierwerk entwickelt.

Nach der Uraufführung 1963 geriet „Herzog Blaubarts Burg“ in Vergessenheit, erst 1978 fand die britische Premiere im National Film Theatre statt, danach verschwand der Film wieder, durfte offenbar aus Rechtegründen nicht aufgeführt werden. (Keine Sorge, die Vorführung im Arsenal hat sich bestimmt verjährt.) Nun hat das British Film Institute ihn auf Blu-ray herausgebracht, in einer mustergültigen Edition, die auf einer Restaurierung von 2021 beruht. Im Bonusmaterial sind unter anderem Heckroths Entwürfe zu sehen, die sich immens vom endgültigen Szenenbild unterscheiden. Im Beiheft kommen der unermüdliche Powell-Kenner Ian Christie sowie Bertrand Tavernier zu Wort, der sich ein halbes Leben lang um die Rehabilitation seines Freundes Powell bemühte. Christie referiert ausführlich die Entstehungsgeschichte von Oper und Verfilmung, Für Bertrand stellt der Film das bisher fehlende Bindeglied zwischen „Hoffmanns Erzählungen“ und „Peeping Tom“ dar.

Beim Wiedersehen war ich erneut hingerissen. Powells Karriere mochte sich damals im freien Fall befunden haben, aber er zeigt sich in dieser Gelegenheitsarbeit als ein Filmemacher, der das Feuer nie verloren hat. Vielleicht half es, dass er hier mit zwei Ungarn zusammenarbeitete (wenngleich postum), was eine mitteleuropäische Lücke schloss nach der Trennung von seinem Partner Emeric Pressburger, der seit einigen Jahren künstlerisch eigene Wege ging. Die Wiederbesichtigung führte mir freilich auch vor Augen, wie sehr mich mein Gedächtnis wieder einmal betrogen hatte. Ich hatte die Dekors nämlich als übersichtlich, weiträumig und gar ein wenig offen in Erinnerung. Das Gegenteil ist der Fall, die Szenerie mutet an wie ein Labyrinth, in dem drangvolle Enge herrscht. Die Burg ist ein Seelenverlies. Darin nimmt Entsetzliches szenische Gestalt an. Blaubarts achte Frau Judit findet sich in einer Waffen- und Folterkammer wieder. Die sieben Türen zu den Zimmern der ersten Ehefrauen aus Balász' Libretto hat Heckroth in Runen verwandelt, in düster drohende Grabsteine. Der symbolistischen Wucht der Vorlage bleibt er dennoch treu.

Nirgendwo ist ein Fenster zu sehen, durch das klärendes Tageslicht eindringen könnte. Heckroth arbeitet mit einer mulmigen, halbdurchlässigen Transparenz, staffelt die skulpturalen Dekors in Schichten hintereinander. Die Szenerie scheint in Bewegung, blutrote Farbvaleurs leuchten aus der Dunkelheit hervor. Ein Furor szenischer Gewalt. Judit und Blaubart haben sich im Spinnennetz einer dunklen Seele verfangen.

Heckroths Design ist gewissermaßen das schwarze Gegenbild zu der verspielten Phantasie, die seine vorherige Arbeit an „Das Spukschloss im Spessart“ prägt. Das ist eher ein Bühnenbild, als ein Filmdekor, aber Powell ist hier vollends in seinem Element. Der Teich, den die Tränen der ermordeten Gattinnen bilden, erinnert an „Hoffmann“, Judits Tränen rinnen als Juwelen herab. Der Regisseur verstand sich prächtig mit seinem Kameramann Hannes Staudinger, einem gedrungenen, stämmigen Tiroler. . In seinen Memoiren schildert er die Dreharbeiten eine der glücklichsten Perioden seiner Karriere. Staudinger wird er einige Jahre später für „Das Mädchen vom Korallenriff“ verpflichten, wo Helen Mirren ihre erste große Kinorolle an der Seite von James Mason spielt. In „Herzog Blaubarts Burg“ lässt er die Farben delirieren, taucht die Szenen in gelbes, dann blaues, auch violettes und gleißend weißes Licht.

Powell war unablässig empfänglich für die sinnliche Ausstrahlung seiner Hauptdarstellerinnen. An Satre faszinierte ihn deren grazile Stattlichkeit. (Christie deutet eine stürmische Liebesgeschichte hinter den Kulissen an.) Sie legt Judit als unerschrocken Neugierige an. Sie will nicht aufhören, Fragen an ihren unergründlichen Gatten zu stellen. Powell rückt sie zusehends ins Zentrum, was seinem Produzenten gar nicht gefiel. Satres fordernde Wissbegier wird zur treibenden Kraft des Films. Er ist ein unverhofftes Meisterwerk, darin immerhin hat mich meine Erinnerung nicht getäuscht.

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