Kritik zu Freies Land

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Christian Alvart nutzt Alberto Rodríguez' Thriller »La isla mínima – Mörderland« als Form, um die bekannte Geschichte der deutschen Wiedervereinigung in einem neuen Licht zu erzählen. Zwei Polizisten, der eine von ihnen aus Hamburg, fahnden 1992 im Marschland Mecklenburg-Vorpommerns nach einem Serienmörder

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Blühende Landschaften hatte Helmut Kohl den Bürgern der gerade verschwundenen DDR im Zuge der Wiedervereinigung versprochen. In den Tagen und Wochen vor der ersten gemeinsamen deutschen Wahl nach dem Fall der Mauer fielen diese Worte auf fruchtbaren Boden. Es war eine Zeit des Rausches und der Hoffnung. Nur zwei Jahre später ist von diesem Versprechen allerdings nicht mehr viel übrig. Der Glaube an eine bessere Zukunft hat sich aufgelöst. Er wurde buchstäblich von dem Rost zersetzt, der die Anlagen der ehemals volkseigenen Betriebe im Spätherbst 1992 überzieht.

Als Markus Bach (Felix Kramer), der schon zu DDR-Zeiten als Kriminalpolizist tätig war, und sein ursprünglich aus Hamburg kommender Kollege Patrick Stein (Trystan Pütter) in dem kleinen Städtchen im Nordosten der neuen Bundesrepublik ankommen, liegt Raureif über der kargen es umgebenden Marschlandschaft. Dieses kalte, feuchte Weiß scheint alles fest im Griff zu haben. Nicht nur das Gras und die Büsche, auch die Menschen selbst wirken, als ob der Frost sich an ihnen festgesetzt hat. Zwei junge Mädchen, Schwestern, sind verschwunden. Aber die Dorfgemeinschaft interessiert das kaum. So viele sind schon weggegangen, geflüchtet vor der Leere und der Chancenlosigkeit, dass es auf zwei mehr kaum ankommt. Nur sind die beiden nicht nach Berlin oder in den Westen gegangen. Der Mann, zu dem sie eines Nachts am Ortsrand in den Wagen gestiegen sind, hat sie gefoltert, vergewaltigt, umgebracht und ihre Leichen in den Wasserläufen ganz in der Nähe des Dorfs entsorgt.

Wie schon Alberto Rodríguez' Thriller »La isla mínima – Mörderland«, der von der mentalen wie politischen Erstarrung in den ersten Jahren der spanischen Demokratie erzählt hat, erweist sich auch Christian Alvarts Remake als düsteres Gesellschaftspanorama. Nur ist an die Stelle der sengenden Sonne Andalusiens diese durchdringende nasse Kälte Mecklenburg-Vorpommerns getreten. Und die verleiht dieser Geschichte zweier gegensätzlicher Polizisten, die von den Schatten ihrer Vergangenheit verfolgt werden, eine noch bedrückendere Intensität.

Alle Erwartungen, die sich an die Wende 1989/1990 geknüpft haben, wurden enttäuscht. Statt zu blühen, verdorren die Landschaften. Die einstigen VEBs werden von der Treuhand an Westdeutsche verscherbelt. Und die Schergen des ehemaligen  Systems können weiter mehr oder weniger unbehelligt leben.

Christian Alvart bleibt sehr an Rodríguez' Original. Nicht nur die Handlung von »La ­isla mínima« dient ihm als Blaupause. Auch stilistisch hat er sich inspirieren lassen, etwa von den Drohnenaufnahmen einer von Wasserläufen durchzogenen Landschaft, die von oben, aus der Luft, betrachtet keineswegs wie Lebensadern wirken. Sie durchschneiden nur das Land und engen die Menschen noch weiter ein. Der Landstrich wird so zu einer Art Labyrinth, aus dem es kaum ein Entkommen gibt. Dieses Gefühl des Gefangen- und zugleich Verlorenseins verstärkt sich in »Freies Land« noch einmal. Denn Alvart nimmt sich deutlich mehr Zeit als der spanische Filmemacher, allerdings nicht um die Lücken zu schließen, die Rodríguez ganz bewusst in seiner brüchigen Erzählung gelassen hatte. Auch die finden sich im Remake wieder.

Aber Alvart blickt genauer hin. Er dringt tiefer in seine Figuren ein. So nimmt die Krankheit, die sich in Markus Bach eingenistet hat, einen größeren Raum ein. Sein körperliches Leiden wird zum Ausdruck der seelischen Verheerungen dieses Mannes, der tief in die Verbrechen des DDR-Systems verstrickt war. Die Vergangenheit ist eine Art Krebsgeschwür, das weiter und weiter wuchert, ohne dass ihm irgendjemand Einhalt gebieten könnte. Und so geht es eben nicht nur Bach. Auch der Hamburger Polizist Patrick Stein, der sich mit seinem unbedingten Glauben an das Recht gegen seine Vorgesetzten gestellt hat, wird von Zweifeln vergiftet.

Das, was war, lässt sich auf Dauer weder verdrängen noch übertünchen. Aus Idealisten werden im besten Fall Pragmatiker, im schlimmsten Kollaborateure. Das ist das Leben. Christian Alvarts Sicht auf die deutsch-deutsche Geschichte ist zutiefst fatalistisch. Aber sie hat auch etwas Befreiendes. Er reißt alte Wunden noch einmal auf und hofft, dass sie nun endlich richtig verheilen können.

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