70. Kurzfilmtage Oberhausen

Politik und Kunst
»On Hospitality – Layla al Attar and Hotel al Rasheed«

»On Hospitality – Layla al Attar and Hotel al Rasheed«

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen sind 70 geworden. Und hatten ein schwieriges Jahr. Aber trotz Boykottaufrufs gab es ein anspruchsvolles Programm

Es war in diesem Jahr nicht einfach, unbefangen zu Deutschlands größtem und wichtigstem Kurzfilmfestival zu reisen – und das ausgerechnet zu seinem Jubiläum, der 70. Ausgabe des von Hilmar Hoffmann gegründeten Festivals. Im Vorfeld gab es Proteste, Diskussionen und zurückgezogene Filme. Lars Henrik Gass, Festivaldirektor seit 1997, hatte nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 dazu aufgerufen, an einer proisraelischen Demonstration teilzunehmen und gegen den erstarkenden Antisemitismus zu demonstrieren. »Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamas-Freunde und Judenhasser in der Minderheit sind. Kommt alle! Bitte!«, hieß es in seinem Post. 

Nun kann man diese Formulierung vielleicht als polemisch und zugespitzt empfinden, aber semantisch falsch sind sie nicht angesichts des Umstands, dass das Massaker, bei dem 1200 Menschen abgeschlachtet wurden, teilweise in diesem Berliner Viertel als Volksfest gefeiert wurde. Am 1. November letzten Jahres erschien dann ein von ano­nymen Initiatoren verfasster Protestbrief einer »International Filmcommunity«, der sich zwar gegen Antisemitismus und Rassismus wandte, aber den Post von Gass als Stigmatisierung der Palästinenser verurteilte und dazu aufforderte, die Teilnahme am Festival zu »überdenken«. Ein offener Boykottaufruf, den rund 2000 Leute aus der Festivalszene unterzeichnet haben. Wer zum Boykott aufruft, will keinen Dialog, er zielt unverhohlen auf Schädigung der Existenz und Vernichtung.

Was ist antisemitisch? Das Festival verordnete jedenfalls seinen Teilnehmenden, wenn sie denn online Tickets kaufen wollten, einen Code of Conduct nach der Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), die auch die deutsche Bundesregierung 2017 übernommen hat; die zweite Antisemitismus-Erklärung, die »Jerusalemer Erklärung« von 2021, lässt etwa Boykotte ausdrücklich zu.

Und das Festival war tatsächlich von Absagen betroffen, besonders die Sektion, die mit Filmen anderer Festivals gefüllt werden sollte, aber auch im Wettbewerb wurden eingereichte und schon zugesagte Filme zurückgezogen. Die Cancel-Culture, in diesem Fall ja eine Selbst-Cancel-Culture, war immer wieder Gegenstand der Oberhausener Podiumsdiskussionen, die nach der Eröffnung jeden Morgen in einem »Festival Space« genannten ehemaligen Laden gegenüber dem Festivalkino mit großer Resonanz stattfanden – man musste schon früh da sein, um einen Platz drinnen zu ergattern. Die Sinnhaftigkeit von Festivals stand zur Diskussion, die Sehnsucht nach »Widerspruchsfreiheit«. In der spannenden letzten Diskussion um die »Politisierung der Kultur« konstatierte etwa die deutsch-iranische Journalistin Sharzad Eden ­Osterer eine Kontinuität von Antisemitismus im Kunst- und Kulturbereich. Gass beklagte einen Konformitätsdruck und eine seit Herbst erschreckende Reglosigkeit in der Szene. 

Nun, wer die Auseinandersetzungen im Vorfeld des Festivals nicht verfolgt hat, wird auch nicht gemerkt haben, dass dem Festival etwas gefehlt hätte. Die Vorführungen des internationalen Wettbewerbs im »Lichtburg«-Festivalkino (das auch außerhalb der Kurzfilmtage ein gutes Programm zeigt) waren meist gut gefüllt bis ausverkauft. Punkten konnte das Festival auch mit seinen historischen Reihen, der traditionellen »re-selected«-Schiene, die Filme aus vergangenen Festivalausgaben neu zusammenstellt, und der von Dietrich Leder kenntnisreich betreuten Reihe »Sport im Film«; Oberhausen veranstaltete ja von 1968 bis 1977 fünf Ausgaben der Sportfilmtage. Im ersten Programm von »re-selected«, ungarischen Regisseurinnen gewidmet und von Borjana Gakovic zusammengestellt, lief etwa »Kézenfogva« (Hand in Hand) von Anna Herskó aus dem Jahr 1963, ein wunderschöner 12-Minüter über ein Mädchen, das im Trubel eines Vergnügungsparks seinen Vater verliert, zum Glück nur vorübergehend. Leichthändig und doch ergreifend setzt Hers­kó diese Verlorenheit in Szene, mit einer dokumentarisch wirkenden Kamera. Solche Filme werden heute nicht mehr gemacht – und in schwarz-weißem 35 mm schon gar nicht. 

Die Programme des internationalen Wettbewerbs sind traditionell anspruchsvoll, mit durchaus experimentellen Filmen, die sich schon mal hermetisch zu schwer einschätzbaren Ton- und Bildcollagen ausweiten. Animationsfilme sind mittlerweile eher selten zu finden. Der indische Regisseur Amit Dutta hat in »The Many Interrupted Dreams of Mr. Hemmady« Streichholzschachteln zum Ausgangspunkt seiner Animation genommen. Er vervielfältigt sie, ordnet sie zu Mustern, und inspiriert von ihrem grellen Design löst er sie in ihre Bestandteile auf, lässt Schiffe fahren und Flugzeuge fliegen. So zeigt er die inhärente Dynamik ihrer Bilder – und die Träume, die sich darin abbilden. Die Internationale Jury hat dem Film ihren Hauptpreis zugesprochen. 

Mehr noch als im Langfilm mischt sich im Kurzfilm leicht Dokumentarisches mit Narrativem. In »On Hospitality – Layla al Attar and Hotel al Rasheed« von Magnus Bärtås und Behzad Khosravi-Noori (Schweden) tritt die irakische Künstlerin Layla al Attar auf (dargestellt von der Schauspielerin Areej Al Mansory), die 1993 bei einem amerikanischen Raketenangriff ums Leben kam. Sie, die von Diktator Saddam Hussein zur Leiterin des Nationalen Kunstzentrums ernannt worden war, erzählt vom Bau des Al-Rasheed Hotels in Bagdad, das für eine Tagung der blockfreien Staaten 1983 errichtet wurde. Sie steuerte ein George-W.-Bush-Mosaik bei, auf das jeder treten musste, der das Hotel betrat. »On Hospitality« ist eine Auseinandersetzung mit Macht und ihrer Repräsentation, aber auch mit der Verstrickung des Einzelnen in ein totalitäres System. Dafür gab es den Ersten Preis der Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

Den Hauptpreis, den Großen Preis der Stadt Oberhausen, hat am Ende aber ein Spielfilm gewonnen. Mehr als früher, so hat man den Eindruck, lässt Oberhausen in seinem Wettbewerbsprogramm kurze Spielfilme zu. »Chūn Èr shí sān« (Spring 23) von Wang Zhiyi erzählt von einem jungen Mann, der auf der Polizeiwache die Todesformalitäten seiner Eltern erledigt und dann mit seinem Motorrad durch die Gegend driftet. Gern würde er für das Frühlingsfest Feuerwerkskörper kaufen, in Shops, in denen noch Mao Tse-tung an der Wand hängt, doch das ist polizeilich verboten. Sanfte Kritik an der Obrigkeit verbindet sich in diesem Film mit einer lakonischen, bildstarken Erzählweise ohne überflüssige Dialoge. Die Schlusseinstellung, in der der Protagonist Feuerkugeln in den Himmel schießt und die anrückende Polizei erst mal respektvoll und bewundernd in den Himmel blickt, gehört zu den Bildern des Festivals, die lange im Gedächtnis bleiben.

Meinung zum Thema

Kommentare

Es ist unfassbar! Wie kann man so auf den richtigen und wichtigen Aufruf von Herrn Gass reagieren? Es ist das erneute Zeichen, dass die deutsche und die internationale "Filmcommunity" offenbar wirklich ein großes Problem mit Antisemitismus hat. Wohltuend, dass sich Herr Worschech im Text klar positioniert.

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