European Film Awards 2023

Zum 36. Mal wurden die European Filmawards am 9.12. vergeben, wie jedes zweite Jahr in Berlin, der Gründungsstadt der Akademie. Im Kontrast zur glamourösen Harpa-Halle im letzten Jahr in Reykjavic wirkt die Arena in Treptow, der ehemalige Betriebshof der Allgemeinen Berliner Omnibus AG sehr viel nüchterner, mit der temporären Bestuhlung auf einem Metallgerüst und dem provisorisch aufgehängten Kronleuchter als Glamour-Akzent für die bei kühlen Temperaturen fröstelnden Gäste. Man könnte sagen, dass es zum ewig provisorischen Flair von Berlin passt

Gegründet wurden Akademie und Preis vor bald 40 Jahren, die Idee, dem Europäischen Film mehr Strahlkraft zu verleihen, ihn als europäisches Pendant der amerikanischen Oscars zu etablieren funktioniert noch immer nur bedingt, zu zerrissen ist Europa in seiner Vielfalt der 52 zugangsberechtigten Länder, zu denen auch Mini-Nationen wie der für sein Filmschaffen nicht unbedingt bekannte Vatikan gehören.

Wer in Cannes gewonnen hat, der hat gute Chancen, auch bei den European Filmawards, das gilt nach »Triangle of Sadness« im letzten auch in diesem Jahr: der leise unerbittliche Justizthriller »Anatomie eines Falls« von Justine Triet wurde als bester Film, für beste Regie, bestes Drehbuch und besten Schnitt ausgezeichnet. Dazu Sandra Hüller, die auch für ihre ähnlich minutiöse Darstellung der Frau des Ausschwitz-Lagerkommandanten Höß in »Zone of Interest« von Jonathan Glazer nominiert war, die Statuette aber für die Rolle bekommt, mit der sie den ganzen Film trägt. Tatsächlich hatte die Regisseurin die unter Mordverdacht zumeist von Männern sezierte Schriftstellerin dezidiert für sie entwickelt. Den Preis als männlicher Darsteller bekommt zum zweiten Mal nach »Der Rausch« der Däne Mads Mikkelsen für »The Promised Land«. Man mag sich über solche Doppelungen wundern, angesichts der möglichen Breite des Spektrums, doch je bekannter die Preisträger, desto stärker fördern sie  eben auch die Strahlkraft des Preises. Unter den rätselhaften Oberflächen eines Gerichtsprozesses mischt sich »Anatomie eines Falls« klug in aktuelle Debatten über Geschlechterrollen und Gleichberechtigung ein. Trotzdem wäre auch Agnieszka Hollands wuchtiger Film »Green Border« über die hanebüchenen Zustände an der polnisch-belarussischen Grenze ein würdiger Gewinnerfilm gewesen, Silber und Bronze gibt es bei den European Filmawards nicht.

Die Akademie schraubt an der Präsentation, schon im Vorfeld soll mit dem Monat des Europäischen Films mehr Aufmerksamkeit auf die nominierten Filme und den Preis gelenkt werden, der weder im Bewusstsein des Publikums, noch unter den Filmschaffenden, und selbst bei der Presse annähernd so stark verankert ist wie die Oscars. Immer wieder macht sich ein großer Teil der Nominierten gar nicht die Mühe, anzureisen, die von Zuhause zugeschalteten Preisträger präsentieren sich auch mal in Hoodie oder Schlafanzug. Die 86jährige, mit dem Lifetime Achievement Award geehrte Vanessa Redgrave hat sicher gute Gründe für ihre Abwesenheit und für ihre Videoschalte hat sie sich immerhin festlich angezogen, doch man kann sicher sein, wäre sie vor Ort gewesen, hätte sie eine rauschende Standing Ovation bekommen: Über den Videobildschirm springen die Funken halt einfach nicht über. Dagegen sorgte der ungarische Regisseur Bela Tarr, im Kontrast zu seinen düster getragenen Filmen für einen der wenigen emotionalen Momente des Abends, zusammen mit Anna Hints gesungener Dankesrede für »Smoke Sauna Sisterhood« als bester europäischer Dokumentarfilm und Molly Manning Walkers Plädoyer für eine andere, komplexere Wahrnehmung von Frauen als Dank für den Preis als europäische Entdeckung für »How to have Sex«. Überhaupt funktioniert das bei den Europäischen schon recht gut, mit der stärkeren Präsenz der Frauen auch bei den Preisverleihungen, und auch die Vielfalt des europäischen Filmschaffens ist an diesem Abend trotz der fünf Preise für einen Film immer präsent.

Woran es noch hapert ist der Spagat zwischen Kurzweile und Feierlichkeit, um den weltweit alle Preisverleihungen ringen. Das führt auch in der europäischen Angelegenheit immer wieder zu unglücklichen Entscheidungen. Um den ermüdenden Litaneien von Nominierung, Preisvergabe und Danksagung zu entgehen, wurden die bereits im Vorfeld verkündeten Exzellenz-Preise für verschiedene Gewerke, wie Kamera, Kostüm, Schnitt etc in Fünfergruppen verteilt, was dann doch eher wie eine Auszeichnung zum Verkäufer des Jahres im Autokonzern anmutet, als eine feierliche Würdigung kreativer Ideen. Noch unglücklicher ist der Versuch geraten, verschiedenen, dezidiert jugendlichen Zuschauergruppen den Auftrag zu übertragen, nominierte Filme qua discussione vorzustellen: Sprayer in der immer sehr dekorativen Abhörstation am Teufelsberg bei der Arbeit zu filmen, ist eine hübsche Idee, die leider gar nicht aufgeht, von den Filmen lenkt das auf verwirrende Weise nur ab.

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