Symposium des Filmbüros NW: »Hybride SpielRäume im Film«

Entweder-Oder?
»Lovemobil« (2019). © NDR / Christoph Rohrscheidt

»Lovemobil« (2019). © NDR / Christoph Rohrscheidt

Das Symposium des Filmbüros NW »Hybride SpielRäume im Film« lotete den Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion aus

In dem Ende September in ausgewählten Kinos angelaufenen Film »Mutter« darf Anke Engelke ihre darstellerische Virtuosität beweisen. Denn sie verkörpert acht verschiedene, von ihr lippensynchron gespielte Frauen aus der deutschen Mittelschicht, deren Erfahrungen als Mütter Regisseurin Carolin Schmitz schon vor zehn Jahren in Tonaufnahmen gesammelt hatte. Seitdem hatte sie nach einer angemessenen Form gesucht, um aus den individuellen Geschichten modellhaft gesellschaftliche Erfahrungen herauszuarbeiten. Und fand ihn am Ende darin, die unterschiedlichen originalen Stimmen in dem Körper einer Darstellerin zu vereinigen.

Dies berichtete Schmitz bei einem Symposium des Filmbüros NW zum Thema »Hybride SpielRäume im Film«, wo »Mutter« als Preview gezeigt wurde. Dabei bezieht sich der vielfältig auslegbare Begriff des Hybriden hier auf das von vielen Dokumentarfilm-Liebhaber*innen schon lange mit Interesse beobachtete Grenzgebiet zwischen fiktionaler und dokumentarischer Form, für das sich nach den Aufregungen um Elke Lehrenkrauss als Dokumentarfilm etikettierte, semi-dokumentarische Arbeit »Lovemobil« letztes Frühjahr auch die breite Öffentlichkeit vermehrt interessierte. 

In Köln wurde die Geschichte der Hybridisierung und ihrer Rezeption in einem virtuellen Power-Point-Vortrag des zum Thema habilitierten Medienwissenschaftlers Florian Mundhenke resümiert, der drei Modi der dokumentarischen Adressierung des Publikums postulierte: »Und«, »Oder«, »Entweder-Oder«. Dabei sei Letzteres am reinsten im Fake-Doku oder Mockumentary zu finden, das »Und« im offenen Modus des Essayfilms.

Die zwei in Köln vorgestellten Mockumentaries haben allerdings auch »echte« dokumentarische Anteile. So oszilliert beispielsweise Heike Finks »Olaf Jagger« mit der (besetzungstechnisch genialen!) Idee, dem Comedian Olaf Schubert den prominenten Rolling Stone gleichen Namens als heimlichen Vater anzudichten, raffiniert zwischen tollkühnen Erfindungen und handfesten Überdeckungen mit Schuberts Bühnenfigur, seiner wirklichen Biografie und historischen DDR-Settings. Auch bei dem mehrfach ausgezeichneten Langfilmdebüt »Solange sie noch Arme haben« (2019) der KHM-Studentin Luisa Bäde ist ein DDR-Sujet die Grundlage. Sie wollte den Osten selber sprechen lassen, sagte die in Gera geborene Filmemacherin in Köln, und einem ehemaligen Verfolgten einen geschützten Raum geben, sich zu zeigen. Dies ist der 1983 ebenfalls in Gera verhaftete dissidente Puppenspieler Frank Karbstein, den Bäde seine damaligen Erfahrungen mit staatlicher Gewalt improvisiert in der als inszenatorisches Umfeld offen sichtbaren Kulisse eines Filmstudios nachspielen lässt.

Auch »Lovemobil«-Regisseurin Elke Lehrenkrauss war mit ihrem Film als Case Study zum Themenpunkt »Grenzfälle?« eingeladen und genoss es sichtlich, mit fachkundigem Publikum einmal differenzierter kommunizieren zu können. Bei aller Kritik an der mangelnden »Etikettierung« wurde dabei weitgehend positiv wahrgenommen, dass der Fall »Lovemobil« Debatten um den Dokumentarfilm und Produktionsbedingungen beim Fernsehen vorangetrieben hatte. Einen ironischen Moment lieferte dabei der Umstand, dass Lehrenkrauss Gesprächspartner Ludwig Sporrer vom DOK.fest München den Umgang mit der Filmemacherin auch als mysogyne Geste einordnen wollte, diese aber gleichzeitig durch eigenes Dominanzverhalten so lange Zeit nicht zu Wort kommen ließ, dass Tagesmoderation und Publikum eingreifen mussten.    

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