Fantasy Filmfest Nights 2022

»No looking back« (2021). © m-appeal

»No looking back« (2021). © m-appeal

Die »Fantasy Filmfest Nights« bieten neben bewährter Genrekost auch Ungewöhnliches

»Viele russische Filme sind oft kritisch gegenüber verschiedenen Aspekten des Lebens im Lande. In meinen beiden Filmen geht es um Machtmissbrauch, Gewalt und Korruption. Sie erzählen vom extremen Ausmaß des Hasses, der zur Katastrophe führt...« – so ein aktuelles Zitat von Kirill Sokolov. In seinem neuen Film »No looking back« entwirft er ein Bild der russischen Gesellschaft, das nicht weniger grimmig ist als das in seinem Vorgänger »Why don't you just die«. Diesmal steht die junge Olga im Mittelpunkt, gerade nach vier Jahren aus dem Knast entlassen, weil sie ihrem Ehemann in einer heftigen Auseinandersetzung ein Auge ausgestochen hatte. Jetzt möchte sie mit ihrer elfjährigen Tochter Masha anderswo neu anfangen. Doch da hat sie die Rechnung ohne ihre Mutter Vera gemacht: die ist der felsenfesten Überzeugung, für die Kleine sei es das Beste, weiterhin in ihrer Obhut zu bleiben. In die heftigen und immer stärker eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen den beiden werden immer mehr Menschen mit hineingezogen – umso überraschender das Ende.

»No looking back« ist einer von 17 Filmen des diesjährigen Programms der Fantasy Film Fest Nights, die einmal mehr die Zeit bis zum großen Fantasy Film Fest (im September) überbrücken helfen. Wie schon im vergangenen Jahr finden sie diesmal als viertägige XXL-Version statt. »No Looking Back« ist dabei nicht der einzige Film, der demonstriert, dass Genrefilme uns nicht nur in fantastische Welten entführen, sondern oft genug auch brutal in die Wirklichkeit hineinstoßen können. 

Das kann auf verspielte Weise geschehen, wie in der französischen Komödie »Barbaque« (Veganer schmecken besser), in der ein Metzger entdecken muss, dass seine Kunden ganz wild auf seinen neuen Schinken sind. Der stammt von einem Vegan-Aktivisten, den Francois auf der Landstraße überfahren hat, nachdem er entdeckte, dass er zu einer Gruppe gehört, die seinen Laden verwüstet hat. Angestachelt von seiner Ehefrau macht er bald Jagd auf Nachschub. Bei Quentin Dupieux wird die Zeitkritik einmal mehr surreal aufgeladen. In seinem Berlinale-Beitrag »Incredible, but true« entdeckt ein Paar in seinem neuerworbenen Haus, welche Wunder ein Abstieg in den Keller bewirken kann – was der Ehefrau am Ende ebenso zum Verhängnis wird wie der »elektronische Penis«, den der Chef des Ehemannes sich in Japan hat implantieren lassen.

Einen Keller, der Überraschungen für die neuen Bewohner des Hauses bereit hält, gibt es auch im irischen »The Cellar« von Brendan Muldowney. Er erweist sich als Portal zu einer anderen Welt, das die Familie dem Vorbesitzer verdankt, einem Mathematiker, der sich nach einer Familientragödie mehr und mehr der Alchemie zuwendete. Über weite Strecken versteht es der Film, mit sparsamsten Mitteln Spannung zu erzeugen, da genügt schon ein Lufthauch, der unter der Kellertür hindurchströmt, um die Ordnung der Dinge aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Klaustrophobisch kommt auch in Charles Dorfmans »Barbarians« der Schrecken daher. Ein Abendessen zweier Paare eskaliert in körperlichen Gewalttätigkeiten, nachdem es zuvor schon verbal hoch herging. Jeder hat Geheimnisse vor dem anderen, die nach und nach ans Licht kommen und dann gibt es noch die fragwürdigen Geschäfte, die der Makler Lucas eingefädelt hat, um seinem Freund Adam zu diesem Traumhaus zu verhelfen, in dem die Vier plötzlich gefangen sind, als drei maskierte Männer auftauchen – Söhne des ursprünglichen Besitzers, den Lucas offenbar über den Tisch gezogen hat und der daraufhin in der Gerichtsverhandlung einen Herzinfarkt erlitt. Wollen die Drei sie nur einschüchtern oder tatsächlich umbringen? Irgendwann spielt das keine Rolle mehr, neue Allianzen werden geschmiedet, das Blut spritzt...

Auf eher psychologischen Schrecken setzt »You are not my mother« der Irin Kate Dolan (eine von vier Regisseurinnen im Programm), in dem sich die fünfzehnjährige Char nicht nur mit der Pubertät und ihrer Außenseiterrolle auseinandersetzen muss, sondern auch damit, dass ihre Mutter sich von Tag zu Tag erratischer verhält. Erst spät erfährt sie, was 15 Jahre zuvor passierte. Das hat durchaus mit übernatürlichen Dingen zu tun, verdrängt aber nicht die zuvor gezeigten realistischen Bilder seiner verstörten Teenager-Protagonistin.

Ähnlich vergiftet ist auch die Mutter-Sohn-Beziehung im österreichischen »Luzifer«, dem Regiedebüt von Peter Brunner (Produktion: Ulrich Seidl). Der Glauben (aber auch der Zweifel daran) verbindet die frühere Alkoholikerin und ihren geistig beeinträchtigten Sohn in der Einsamkeit der Berge – eine weitere darstellerische Tour de Force von Franz Rogowski (und auch von Susanne Jensen). 

Nicht entgehen lassen sollte man sich zwei fantastische Filmen aus »exotischen« Ländern: Arsalan Amiri beschreibt in »Zalava« einen Fall von Aberglauben 1978, am Vorabend der iranischen Revolution. Der örtliche Polizeichef versucht die Bewohner eines Bergdorfes davon zu überzeugen, dass es keine Dämonen gibt, doch die vertrauen lieber einem selbsternannten Exorzisten. Am Ende sind beide Seiten in ihrem Glauben erschüttert und ausgerechnet die Ärztin, die mit Abstand Vernünftigste weit und breit, muss sich ihrer Machtlosigkeit brutal bewusst werden. Um den Glauben an Dämonen kreist auch der senegalesische »Saloum« von Jean Luc Herbulot. Die drei Söldner, die einen Drogenhändler durch ein unwegsames Territorium führen sollen, sehen sich in einer Unterkunft plötzlich mit verschiedenen Menschen konfrontiert, die allesamt ihre eigenen Interessen verfolgen, darüber aber nicht unbedingt freiwillig Auskunft geben. Und auch innerhalb des Trios gibt es wohlgehütete Geheimnisse. Die Bedrohung durch übernatürliche Kräfte jedenfalls schweißt sie nicht alle zusammen in diesem Film, der das Epische der Landschaft mit dem Kammerspiel aufs Schönste zusammenbringt.

Fantasy Film Fest Nights, Hamburg, München, Köln, Frankfurt: 31.3.-3.4.; Berlin,  Stuttgart, Nürnberg: 7.-10.4.

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