Das 18. Zurich Film Festival

© Titin Emans/ZFF

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Das 18. Zurich Film Festival bestach durch seine Vielfalt

Die Europapremiere von Ed Bergers »Im Westen nichts Neues« fand in Zürich statt. Mit Netflix Originals hatten die Macher dort noch nie Probleme. Im Kino konnte man das Werk allerdings nur während des Festivals sehen. Das vierwöchige Kinofenster für den deutschen Oscarkandidaten gilt nur für Deutschland. In Österreich oder der Schweiz kann man das Werk bestenfalls zwei Wochen vor dem weltweiten Netflixstart begutachten. 

Galapremieren nennt man beim Zurich Film Festival, (das sich schon im Namen ganz anglophon und international gibt und auf das ü in Zürich verzichtet) die Prestigefilme, die das breite Publikum anziehen, Sponsoren und lokale Politiker beeindrucken. Erfreulicherweise besteht diese sehr üppige Reihe mit 34 Filmen nicht nur aus Arthouse-Mainstreamfilmen. In einer Mischung aus dem Best-Of aus Cannes, Venedig und San Sebastian und zuvor nicht auf Festivals gezeigten Kinofilmen konnte man beispielsweise den Schweizer Thriller »A Forgotten Man« über die zwiespältige Rolle eines Schweizer Botschafters in Deutschland während der Nazizeit als Weltpremiere sehen. Eröffnet wurde mit der Europapremiere von »The Swimmers« über die syrischen Schwestern Yusra und Sarah, die nach einer abenteuerlichen Flucht als Schwimmerinnen an den Olympischen Spielen in Rio teilnehmen. Abschlussfilm war »Argentina, 1985«, der die dunklen Zeiten der argentinischen Militärdiktatur aufarbeitet. 

Zu den Entdeckungen in den diversen Wettbewerbssektionen gehörte »Rubikon«, ein österreichischer Science-Fiction-Film, das Debüt der Regisseurin Leni Lauritsch. Auf der Weltraumstation Rubikon haben nur noch ein russischer Wissenschaftler, eine österreichische Soldatin und ein britischer Oligarchensohn überlebt. Sie besitzen lebenserhaltende Algen, die im Weltraum gezüchtet wurden. Weil auf der Erde im Jahr 2056 kein Leben mehr möglich ist, haben sich die Reichen und Mächtigen in Bunkern abgesetzt und das Fußvolk, aber auch Soldaten und Soldatinnen bewusst geopfert. Nun fehlt ihnen Sauerstoff, den die Algen noch liefern könnten. An Bord entsteht ein Streit, ob man den Konzernchefs und reichen Überlebenden im Namen der Menschlichkeit helfen soll oder nicht. Der wirklich gutgemachte Film überzeugt sowohl ästhetisch, wie inhaltlich und wirft spannende, moralische Fragen auf. Hauptdarstellerin Julia Franz Richter, die ein wenig an die junge Hilary Swank erinnert, ist eine Entdeckung. Der in der Ukraine geboren Israeli Mark Ivanir (zur Zeit auch in der 4. Staffel von »Babylon Berlin« zu sehen) beweist auch in diesem Debütfilm einmal mehr seine ganze darstellerische Klasse. 

Im Kontext aktueller Produktionen aus oder über die Ukraine ragte der israelische Spielfilm-Beitrag im Wettbewerb »Valeria Iis Getting Married« heraus. In nur 76 Minuten erzählt Regisseur Michal Vinik von der jungen Ukrainerin Valeria, die von ihrer Schwester und deren israelischem Mann nach Israel eingeflogen wird, um einen Mann zu heiraten, den sie bisher nur per Internet kennt. Während der linkische Ehemann in spe sich sofort als verliebt und hochbeglückt zeigt, schließt sich die überforderte Valeria im Badezimmer ein. Sie will den Mann nicht heiraten. Nun erhöhen ihre Schwester und ihr Mann den Druck. Es geht um viel Geld, verletzten Stolz und die Frage, ob eine arrangierte Ehe, die ein materiell abgesichertes Leben ermöglicht, wirklich erstrebenswert ist. Im Stil eines Familiendramas mit tragikomischen Momenten beweist das israelische Kino erneut, wie nah es filmisch an gesellschaftlichen Konflikten ist und wie genau und überzeugend das gespielt und inszeniert ist. 

Insgesamt strömten beim 18. Zurich Film Festival 137 000 Besucher in die Kinos, immerhin 20 000 mehr als noch vor Corona-Zeiten 2019. Dabei hat man die Anzahl der Filme sogar abgespeckt, einzelne Sektionen wie Serien völlig aus dem Programm genommen. So waren die Kinos wirklich gut besucht, und auch sperrigere Arthousefilme wie das sehenswerte dänische Horror-Survival Drama »Speak No Evil« von Christian Tafdrup, das nicht auf Splatter, sondern auf menschliche Abgründe setzte, oder aber der wunderschön-traurige Coming of Age Film »Close« des jungen Belgiers Lukas Dhont auch in größeren Kinosälen fast ausverkauft.

In der wohlhabenden Schweiz leistet man sich im Festivalprogramm auch die Sektion »Borderlines«, in der Amnesty International der Partner ist. Besonders gelungen war dort der britische Dokumentarfilm »Rebellion« von Maia Kenworthy und Elena Sánchez Bellot über junge und ältere Aktivist/Innen von Extinction Rebellion. Im April 2019 legen die die Londoner Innenstadt lahm, feierten durch ihre massiven Proteste einen Prestigeerfolg, so dass Großbritannien als erstes Land der Welt – zumindest symbolisch – den Klimanotstand ausrief. Der Film thematisiert aber auch innere Spannungen und die Frage nach demokratischen Defiziten in der Bewegung. So stellt man sich als Betrachter immer wieder die Frage, wie weit würde man selber für eine Idee gehen, wenn die Staatsmacht immer massiver zurückschlägt. Und man muss nicht nach Belorussland oder »illiberale« EU Staaten wie Ungarn oder Polen schauen, wenn es darum geht, wie willkürlich Gesetze die Demonstrationsfreiheit beschränken. Den Aktivisten von Extinction Rebellion ist es per Gesetz verboten, auf dem gesamten Gebiet der City of London noch öffentlich zu protestieren. Wer es trotzdem wagt, dem droht Gefängnis. 

Ausgezeichnet mit dem »Goldenen Auge« im WB Spielfilm wurde der kolumbianische Spielfilm »Los Reyes del Mundo«, ein etwas anderes Roadmovie um fünf junge Menschen, die von Medellin ins kolumbianische Hinterland aufbrechen. Im WB Fokus mit Filmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in dem auch »Rubikon« lief und die deutschen Beiträge »Aus meiner Haut«, »The Ordinaries« und als Weltpremiere »Vamos a la Playa«,  gewann der Schweizer Dokumentarfilm »Cascadeuses« von Elena Avdija, eine originelle filmische Betrachtung über drei Stuntfrauen, die fast immer nur geschundene Opfer darstellen, während die männlichen Kollegen sowohl die guten wie auch die schlechten Jungs verkörpern dürfen.

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