Nachruf: Jean-François Stévenin

23.4. 1944 – 27.7. 2021
Jean-François Stévenin

Jean-François Stévenin

Liebenswerte Allzweckwaffe

Seine eigenen Regiearbeiten handeln vom Glück der Begegnung. Zuverlässig finden sich bei ihm all jene, die sich im Leben verlaufen haben: Man versteht sich umso besser, wenn man etwas neben der Spur ist; egal, in welchem Lebensalter. Er verstand es, Weggefährten zu Freunden zu machen. Sein Leben handelte erst recht von diesem Glück. 1968 lernte er auf Kuba, wo er ein Praktikum in der Milchproduktion absolvierte, den Regisseur Alain Cavalier kennen, der ihn als Regieassistenten engagierte. Rasch kannte er sich in allen Metiers des Filmgeschäfts aus und führte lange Zeit ein Doppelleben als Assistent und Darsteller, u. a. bei Jacques Rivette, Peter Fleischmann und Barbet Schroeder. Für François Truffaut spielte er unvergessliche Nebenrollen: 1973 den findigen Regieassistenten in »Die amerikanische Nacht«, zwei Jahre später den Lehrer in »Taschengeld«, der weiß, dass das Leben den besten Unterrichtsstoff liefert. Für den Part eines streikenden Werftarbeiters in Jacques Demys »Ein Zimmer in der Stadt« erhielt er 1983 eine Césarnominierung. Seine erfreuliche Leibesfülle, die blauen Augen unter der Stirn, die von keinem Haarschopf unnötig verdeckt wurde, ließen ihn zu einem begehrten, vielseitigen Charakterdarsteller werden. Im sonst so bürgerlichen französischen Kino war er kein Außenseiter, aber doch ein Solitär: ein Wiedergänger der proletarischen Helden, die einst Gabin spielte; allerdings gern in komplizierten Autorenfilmen. Auch John Huston und Jim Jarmusch schätzten seine robuste Präsenz. Den letzten seiner fast 200 Film- und TV-Auftritte hatte er in Xavier Giannolis Verfilmung von »Verlorene Illusionen«, die in Venedig uraufgeführt wird. 

Hinter der Kamera fand er 1977 mit »Die Waldläufer« zur gleichen bodenständigen Eleganz, die seine Rollen auszeichnet. Regie zu führen bedeutet für den geselligen Freischärler ein Abenteuer, zu dem man die Familie um sich schart, die leibliche (seine vier Kinder wurden allesamt Schauspieler) ebenso wie die erwählte. Insgeheim zählte das Erlebnis der Dreharbeiten für ihn vielleicht mehr als das Resultat. Er drehte Filme, schrieb einmal ein Kritiker, in denen man gern leben würde.

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