Interview: Lee Daniels über »The United States vs. Billie Holiday«

Lee Daniels am Set von »The United States vs. Billie Holiday« (2020). © Paramount Pictures. Takashi Seida

Lee Daniels am Set von »The United States vs. Billie Holiday« (2020)

© Paramount Pictures. Takashi Seida

Als Castingagent und Manager begann Lee Daniels seine Hollywood-Karriere, vor 20 Jahren produzierte er mit »Monster's Ball« seinen ersten Film, 2005 folgte sein Regiedebüt »Shadowboxer«. »Precious – Das Leben ist kostbar« wurde zum preisgekrönten Welterfolg und brachte dem schwulen Filmemacher zwei Oscar-Nominierungen ein. Nach »The Paperboy« und »Der Butler« konzentrierte sich Daniels erst einmal aufs Fernsehen und seine Serien »Empire« und »Star«. Nun meldet sich der 61-jährige im (Online-)Kino zurück, wo ab dem 23.4. sein neuer Film »The United States vs. Billie Holiday« mit Soul-Sängerin Andra Day in der Hauptrolle zu sehen sein wird

Mr. Daniels, die Idee, einen Film über Billie Holiday zu drehen, kam zunächst nicht von Ihnen, richtig?

Richtig, denn eigentlich hatte ich gar nicht gedacht, dass es noch einen Film über Billie Holiday braucht. Als Teenager habe ich »Lady Sings the Blues« mit Diana Ross und Billy Dee Williams gesehen, und lange Zeit war das für mich die ultimative Holiday-Geschichte. Dabei fehlten da durchaus einige wichtige Aspekte, wie ich später gelernt habe. Als vor einigen Jahren das Drehbuch von Suzan-Lori Parks auf meinem Tisch landete, war ich jedenfalls auf Anhieb Feuer und Flamme. Ich dachte, ich würde mich mit der schwarzen Geschichte der USA auskennen, doch ganz offensichtlich war das nicht der Fall.

Was lernten Sie denn Neues?

Zum Beispiel hatte ich keine Ahnung davon, wie sehr die Regierung hinter Billie Holiday her war, wegen ihres Bürgerrechtssongs »Strange Fruit«. Mit welchen Mitteln man versuchte, sie mundtot zu machen. Dass das nicht hinlänglich bekannt ist, finde ich eigentlich beschämend. Aber es sollte natürlich dazugesagt werden, dass »The United States vs. Billie Holiday« kein gewöhnliches Biopic ist. Suzan Lori-Parks hat sich auf eben jene Zeit konzentriert, in der Harry Anslinger, der das Federal Bureau of Narcotics leitete, es auf Billie Holiday abgesehen hatte – und auf die Liebesgeschichte zwischen ihr und Jimmy Fletcher, der ihr als Informant auf den Hals geschickt wurde. Und für mich geht es vor allem darum zu verstehen, welche Bedeutung »Strange Fruit« für Billie hatte, warum sie dieses Lied aller Widerstände zum Trotz immer gesungen hat und welche Rolle dabei ihre Kindheit spielt.

Hatten Sie überhaupt keinen persönlichen Bezug zu Holiday und ihrer Musik?

Nicht im eigentlich Sinne. Ich bin nicht aufgewachsen damit, dass ihre Songs bei uns zuhause liefen oder so. Aber besagter Film mit Diana Ross war wirklich unglaublich prägend, für alle Afroamerikaner*innen, aber auch persönlich für mich. Ich hatte vorher noch nie auf der Leinwand oder dem Bildschirm derart glamouröse schwarze Menschen gesehen. Und auch noch nie ein sich küssendes schwarzes Paar. Die Oscar-Verleihung, bei der Diana Ross dann nominiert war, war die erste, die ich je live im Fernsehen gesehen habe. Damals war es mir sicher noch nicht wirklich bewusst, aber im Rückblick würde ich sagen, dass »Lady Sings the Blues« mit dafür verantwortlich ist, dass ich Filmemacher geworden bin. Weil ich unbedingt versuchen wollte, auf andere Menschen den Eindruck zu hinterlassen, den der Film auf mich hatte. Und als Diana Ross beim Oscar gegen Liza Minnelli den Kürzeren zog, schwor ich mir, dass ich einmal dafür sorgen würde, dass eines Tages eine Schwarze den Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewinnt. Was mir dann als Produzent von »Monster's Ball« dank Halle Berry auch gelungen ist.

»Monster's Ball« wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Wie hat sich der Arbeitsalltag für schwarze Filmschaffende seither verändert?

Das Wichtigste ist, dass heute nicht mehr alle Geschichten über Schwarze von Weißen geschrieben und inszeniert werden. Der Blick, mit dem unsere Geschichten erzählt werden, ist authentischer geworden, denn wir dürfen nun in Hollywood verstärkt selber ran. Was aber längst nicht heißt, dass uns der rote Teppich ausgerollt wird oder es einfach ist, entsprechende Filme umzusetzen. Viel zu oft heißt es: hier sind ein schwarzer Autor und ein schwarzer Regisseur – und zehn Dollar, das muss reichen. Das Geld, das für schwarze Geschichten ausgegeben wird, ist oft mehr als bescheiden. Keines der großen Filmstudios in Hollywood wollte zum Beispiel »The United States vs. Billie Holiday« finanzieren. Weswegen ich sehr froh war, in Jordan Fudge dann einen begeisterten schwarzen Produzenten zu finden, der das übernommen hat.

Dann kommen wir doch mal konkret auf den Film zu sprechen. Wie viel Fiktion steckt eigentlich in der Geschichte, die Sie da erzählen?

Ein bisschen natürlich schon. Vor allem, wenn es um den von Trevante Rhodes gespielten Jimmy geht. Der hat für die Regierung gearbeitet, aber mehr als ein Foto habe ich nicht von ihm gefunden. Deswegen ist zum Beispiel seine Mutter eine erfundene Figur. Aber ansonsten ist eigentlich alles verbürgt und verbrieft. Auch dass er ein Doppelagent war und für das Bureau ebenso gearbeitet hat wie für Billie. Und dass die beiden ein Verhältnis miteinander hatten. Nur wie tief ihre Gefühle füreinander wirklich waren, wissen wir natürlich nicht. Da kam dann wiederum künstlerische Freiheit ins Spiel.

In fast allen Ihren Werken ist Raum für Queerness, und auch hier blenden Sie Billies Bisexualität nicht aus. Aber ein bisschen kurz kommt dieser Aspekt schon, oder?

Oh Gott, ich wusste, dass diese Kritik kommen würde. Verdammt. Und Sie haben ja Recht. Ich wollte wirklich gerne mehr davon zeigen, und wir haben auch deutlich mehr gedreht, vor allem von der Beziehung zwischen Billie und Tallulah Bankhead. Aber »The United States vs. Billie Holiday« erzählt so viele spannende Geschichten, dass an einigen Stellen leider gekürzt werden musste. Tatsächlich muss ich sagen, dass das einzige ist, was ich bei diesem Film bedauere: dass Billies Bisexualität nicht ausreichend Platz bekommt. Sobald ich mal einen Director's Cut herausbringen darf, werde ich daran aber etwas ändern.

Empfinden Sie als schwuler Regisseur es eigentlich als Pflicht, queere Themen und Figuren aufzugreifen?

Die einzigen Menschen, denen gegenüber ich zu irgendetwas verpflichtet bin, sind meine Kinder. Als Filmemacher bringe ich einfach mein Innerstes zum Ausdruck. Ich erzähle meine Geschichten einfach so, wie es mir entspricht. Und das ist sicherlich auch ein bisschen schwul, denn ich bin nun einmal ein schwuler Mann. Wer selbst homosexuell ist, erkennt sich vielleicht in einigen Figuren oder Elementen meiner Filme besonders wieder. Aber heterosexuelle Zuschauer nehmen womöglich ganz andere Aspekte wahr und identifizieren sich mit den Geschichten keinen Deut weniger. Genauso wie Schwarze meine Filme sicher anders sehen als Weiße. Aber das heißt nicht, dass ich sie nur für die einen oder die anderen drehe.

Lassen Sie uns noch einmal konkret auf Billie Holiday zurückkommen. Warum hat die US-Regierung eigentlich ausgerechnet sie als so gefährlich empfunden?

Das lag wirklich am Song »Strange Fruit«, in dem es um das Lynchen schwarzer Menschen geht, das damals in den Südstaaten ja noch zum Alltag gehörte. Der Regierung war es sehr recht, dass vielen Weißen diese Tatsache kaum bewusst war. Doch Billie, die ja auch viele weiße Fans hatte, erinnerte ihre Zuhörer*innen eben an diesen Horror. Sie machte das, wofür heute soziale Netzwerke sorgen: sie sorgte mit drastischen Worten dafür, dass entsetzliche Wahrheiten nicht in Vergessenheit gerieten. Die Regierung wusste, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes eine mächtige Stimme hatte.

Das Anti-Lynching-Gesetz, das erstmals 1918 dem US-Kongress vorgelegt wurde, ist bis heute nicht verabschiedet. Ist deswegen Holidays Geschichte auch heute, über 60 Jahre nach ihrem Tod, noch relevant?

Deswegen, und natürlich weil ihre Musik unsterblich ist. Aber vor allem, weil Billie Holiday meine Definition dessen verändert hat, was eine Heldin ist. Denkt man an den Kampf für Bürgerrechten und Menschen, die sich mit Regierungen angelegt haben, kommen einem Männer Malcolm X, Gandhi oder Martin Luther King in den Sinn. Nicht drogenabhängige Jazzsängerinnen, die im Bordell aufgewachsen sind. Doch sie war auf ihre Art eben auch eine Schlüsselfigur in diesem Kampf. Sie war alles andere als fehlerlos und ein Produkt der Umstände, in die Amerika sie gezwängt hat. Aber sie war eben längst nicht nur die Süchtige und Verrückte, als die sie von den Behörden lange erfolgreich hingestellt wurde. In meinen Augen war sie eine von denen, die die Bürgerrechtsbewegung in den USA mit ausgelöst hat – und ist eine von vielen Heldinnen in unsere bis heute andauernden Geschichte, denen wir nicht genug Anerkennung zukommen lassen.

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