Interview: Azazel Jacobs über »French Exit«

Michelle Pfeiffer, Azazel Jacobs am Set von »French Exit« (2020). © Sony Pictures Classics

Michelle Pfeiffer, Azazel Jacobs am Set von »French Exit« (2020). © Sony Pictures Classics

Nachdem ich Ihren vorangegangenen Film »Die Liebenden«, der in Deutschland nicht im Kino lief, sondern als DVD-Premiere erschien, kürzlich noch einmal gesehen hatte, hatte ich zunächst Probleme mit »French Exit«, zumal mit dem Spiel von Michelle Pfeiffer, das im Kontrast zum low key-Stil von »Die Liebenden« steht. Dort spürte ich eine große emotionale Nähe zu den Figuren, hier dagegen eine Distanz durch die anfängliche Kälte der Figur. War für Sie von Anfang an klar, dass dies die einzig mögliche Erzählweise war, dass diese Figur, die in einer ganz eigenen Welt lebt, nur so dargestellt werden könnte?

Nach jedem Film überlege ich mir, wie ich bei dem nächsten Film in eine gegensätzliche Richtung gehen kann, besonders, wenn ich mit dem letzten Film das verwirklichen konnte, was mir vorschwebte. Die Figur von Debra Winger in »Die Liebenden« war zu Beginn viel unsympathischer. Wenn ich mich in diesen Charakteren wiederfinden kann, haben sie es verdient, dass ich ihre Geschichte erzähle. Frances Price, die Figur von Michelle Pfeiffer in »French Exit«, ist so weit von meiner eigenen Welt entfernt und bewegt sich anfangs in einer Welt, in der ich nie leben möchte: wenn ich zu dieser Figur eine Beziehung herstellen könnte, wäre das eine sinnvolle Reise. Und das war hier der Fall. Schon der Roman von Patrick De Witt hat mich berührt, aber diese Figur gemeinsam mit Michelle zu entwickeln, bedeutete, dass ich am Ende wirklich Frances gefunden hatte. 

Haben Sie den Schauspielern auch empfohlen, neben dem Drehbuch zusätzlich die Romanvorlage zu lesen?

Ja, die haben wir auch während des Drehs hochgehalten, als sich das Drehbuch immer noch änderte. Mir war die backstory der beiden Charaktere wichtig, viele Geschehnisse, die wir nie auf der Leinwand sehen. 

Im Drehbuch stand schon, dass sie in einer bestimmten Art und Weise spricht…

Ja, das war die Herausforderung. Michelle musste dieses Knäuel entwirren – selbst noch im Schneideraum. Meine Annäherung an diese Figur lief über die Schauspielerin Kay Francis, die Sie sicherlich aus Ernst Lubitschs »Ärger im Paradies« kennen.

Habe ich Sie richtig verstanden, Sie haben mit Michelle Pfeiffer auch während des Schnitts noch über ihre Figur kommuniziert?

Ja, das war übrigens nicht das erste Mal so. Dazu lade ich Schauspieler und Team ein, das war schon »Die Liebenden« und bei »Terri« so. Bei »French Exit« hatte ich den Final Cut. Das verändert die Gespräche, macht es offener. Ich habe Michelle eine frühe Schnittfassung gezeigt (sie lebt wie ich in Los Angeles) – was ich auch Lucas Hedges angeboten habe, aber er wollte den Film lieber erst nach der Fertigstellung sehen. Michelle ist nicht Frances Price, aber sie hat dieselbe Erfahrung gemacht, was bestimmte Werte anbelangt. 

Hatten Sie Michelle Pfeiffer schon beim Schreiben im Kopf? Haben Sie sie in »Where is Kyra?« gesehen, wo sie ähnlich bravourös eine ganz andersartige Figur verkörpert?

Nein, ich habe sie in »Wizard of Lies«, dem HBO-Film über Bernie Madoff, wo sie dessen Ehefrau spielte, gesehen und dabei gemerkt, sie ist noch hungrig. 

Im Verlauf des Films wurde sie mir sympathischer, besonders in der Szene, wo sie in einem Pariser Restaurant dem arroganten Kellner zeigt, wer das Sagen hat. Hat sich das erst im Schneideraum ergeben, wie sympathisch sie sein sollte? 

Ich sah den Riss in Frances, als wir probten: es gab einige Momente, wo man hinter ihrem Panzer eine andere Person entdecken konnte. Das war für mich eigentlich das Interessanteste bei diesem Film – zu sehen, wie sie beginnt, diese Welt, die sie sonst nie kennengelernt hätte, zu akzeptieren. Für mich war das ein Prozess, der den ganzen Film über andauerte. Ich fühle mich dieser Figur jetzt wirklich nah, aber ich verstehe die Menschen, die sie ablehnen. Würde ich so einer Figur auf der Straße begegnen, wäre meine Ablehnung sehr stark. Ich denke, der Film ist wie Frances. Man lernt sie und auch den Film schätzen oder aber man kann die anfängliche Ablehnung einfach nicht überwinden. 

Ich habe Patrick De Witts Roman, der auch ins Deutsche übersetzt wurde, noch nicht gelesen. Haben Sie Änderungen vorgenommen für den Film?

Eine große: Frances' Ende im Roman ist sehr explizit. So stand es auch eine Zeitlang im Drehbuch. Aber als ich mich in die Figur verliebte und auch durch den Austausch mit Michelle, schien mir das nicht mehr angemessen. 

Wenn sie am Ende durch eine dunkle Gasse geht und ein Mann sie anspricht, hatte ich die Befürchtung, er würde danach umkehren und die töten. Es lag eine entsprechende Spannung über der Szene.

Ja, das erinnerte an einen film noir. Aber letztendlich bietet er ihr Freundlichkeit an, was sie auch erkennt. Ich habe ihn bewusst im Schatten gehalten – für mich ist er wie eine Muse des Kinos. Er macht ihr klar, dass sie am Leben ist. So ein Austausch wäre für sie zu Beginn des Films unmöglich gewesen.

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