Lichter Filmfest Frankfurt

»Midnight Family« (2019)

»Midnight Family« (2019)

Das Frankfurter Lichter Filmfest ist als erstes deutsches Filmfestival ins Netz umgezogen. Die Atmo wurde durch Bonusmaterial ersetzt. Und das Programm war gewohnt anspruchsvoll 

Die Festivaldaten waren dann doch dieselben. Vom 21. bis 26.4. gab es wieder das Lichter Filmfest in Frankfurt. Doch 2020 war vieles anders: Als »Lichter on Demand« ging es ausschließlich online an den Start. Das Lichter Filmfest war damit das erste Filmfestival in Deutschland, das mit Onlineangeboten auf die Corona-Krise und die Schließung der Kinos reagierte, eine Pioniertat. Viele andere Festivals werden folgen (müssen). 

Die Filme gelangten über eine Streamingplattform ins heimische Wohn- oder Arbeitszimmer, wo der Festivalzuschauer sie natürlich auch bezahlen musste. Acht Euro wie an einer Kinokasse kostete das pro Film, und ein Teil des »Eintritts« ging an die geschlossenen Kooperationskinos des Festivals. Die Zahl der Zuschauer war pro Film auf 300 begrenzt, wie es auch im Kino eine begrenzte Zahl von Plätzen gibt. So dass es zu ausverkauften Vorstellungen kommen konnte.

Natürlich kommen die Besucher zu einem Festival, um Filme zu erleben, aber sie wollen auch die Gäste sehen und diskutieren, zum Beispiel nach der Vorstellung. Damit Festivalatmosphäre digital rüberkommt, hat sich das Lichter-Team etwas ausgedacht: Bonusmaterial. Da kann man auf dem YouTube-Kanal die Ansagen der Filmemacherinnen und Filmemacher vor dem Film anschauen, ebenso Gespräche über das Werk. »Das Coronavirus hat uns gelehrt, Fern-Nähe zu üben«, sagt Alexander Kluge vor seinem Film »Orphea«, einer Annäherung an den Orpheus-und-Eurydike-Mythos mit umgekehrten Rollen, der in der kleinen Reihe »Zukunft deutscher Film« lief. 

Auch wenn vieles bei Lichter anders war in diesem Jahr: Das Konzept, Regionales mit Internationalem zu verbinden und damit ein ambitioniertes Programm zu präsentieren, ist gleich geblieben. Im regionalen Wettbewerb konkurrierten neun Langfilme und 21 Kurzfilme um die von der Dr. Marschner-Stiftung mit 3 000 beziehungsweise 1 000 Euro ausgestatteten Preise. Zu den Highlights zählte der Dokumentarfilm »Es geht ein dunkle Wolk herein« von Oliver Wörner, die Beobachtung einer Bauernfamilie in einem kleinen Dorf im Odenwald, ein fast ethnografisch orientierter Film. Wörner, der selbst Odenwälder Platt spricht, beobachtet die Menschen bei der Arbeit in ihrem Kleinbetrieb, wie sie mit einer Schubkarre Mist fahren oder Kartoffeln in einen Sack füllen. Der wurde schon einmal geflickt. »Da warn noch Leid do, die des häwwe flicke könne«, sagt der Vater, der meist mit einem alten Deutz-Traktor durch die Gegend fährt. Ein Schwein wird geschlachtet, das gehört dazu in dieser Familie, die ansonsten ihre Tiere beim Namen kennt. Einmal fährt bei der Maisernte ein Vollernter der Nachbarn vorbei. Und man realisiert die archaische Produktionsweise der Familie. Aber nie spielt Wörner die Betriebe gegeneinander aus, und Privates gibt es sowieso nicht zu hören. Wörner bleibt bei der konkreten Arbeit und leistet sich kein Lamento. Den regionalen Langfilmwettbewerb gewann »Live« von Lisa Charlotte Friedrich, ein bedrängend aktueller Film, der in einer nahen Zukunft spielt: Da sind Großveranstaltungen verboten.  

Wie immer stand das internationale Filmprogramm unter einem Motto: In diesem Jahr war es »Macht«. Die Doku »Midnight Family« (USA/Mexiko) ist ein Einblick in das Gesundheitssystem von Mexico City, wo es für neun Millionen Menschen gerade mal 45 lizenzierte Rettungswagen gibt. Dafür aber Tausende selbsternannte Rettungssanitäter und -sanitäterinnen, die sich Wettrennen um die Patienten liefern. Von Quentin Dupieux stammt »Monsieur Killerstyle« (Le Daim), in dem es um das obsessive Verhältnis eines Mannes zu seiner Lederjacke geht – und die Macht der Jacke über den Mann. Der französische Regisseur wurde bei uns bekannt durch sein schräges Roadmovie »Rubber«, dessen Protagonist ein menschenmordender Autoreifen war. »Monsieur Killerstyle«, mit Jean Dujardin und Adèle Haenel, ist ein kleines Meisterwerk skurrilen Humors – hoffen wir, dass wir ihn bald in einem Kino auf der großen Leinwand sehen können.  

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