Geisterspiel: 70. Deutscher Filmpreis München

»Systemsprenger« (2019). © Port au Prince

»Systemsprenger« (2019). © Port au Prince

Ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahrgang, dem 70., musste der Deutsche Filmpreis ohne Publikum nur im Fernsehen stattfinden – wegen Corona

Es lag nicht an der TV-Show selbst, dass über kurz oder lang der Eindruck gepflegter Langeweile aufkam. Regisseurin Sherry Hormann und ihr Team hatten sich eine Dekoration im Fernsehstudio Berlin Adlershof ausgedacht, die ein bisschen wie eine Videoinstallation aussah, mit großen im Raum aufgestellten LED-Bildschirmen und einer Lichtinszenierung, die auf ein scharfes Helldunkel setzte. Und aus diesem Dunkel der Live-TV-Show schälte sich oft der Moderator Edin Hasanovic he­raus, der bis auf einen etwas konfusen Anfang seine Sache gut machte – und sich in seiner Anmoderation gegen Rechtspopulismus und Nationalismus wandte. Berührend war auch das kurze Statement des Ehrenpreisträgers Edgar Reitz, das mit dem Satz endete: »Das Kino – es soll leben.«

Bei Reitz wären im Friedrichstadt-Palast, wo sonst die Verleihung stattfand, alle aufgestanden. Natürlich konnte via TV nicht wirklich die übliche Verleihungsatmosphäre aufkommen (immerhin mussten die Akteure nicht Corona-Tests vergeuden wie bei den Geisterspielen der Bundesliga). Denn die Nominierten – und auch die meisten Laudatoren – waren allesamt zugeschaltet, per Handy, Computer oder Kamera, und das hat natürlich etwas Steriles. Auf einer Bühne sieht das anders aus: Wenn die Zuschauer im Saal sich mit dem Preisträger freuen. Aber diese Art von Veranstaltung wird uns noch lange begleiten, alle kommenden Festivals finden nur noch digital statt. Dafür kann die Deutsche Filmakademie, die die Lolas vergibt, nichts. 

Für die Verteilung der Preise schon. Und da stellte sich sehr schnell heraus, dass wie bei vergangenen Verleihungen ein Film den Durchmarsch machen würde: »Systemsprenger« von Nora Fingscheidt. Zehn Mal war er nominiert, und acht Lolas hat er dann einheimsen können: für den besten Film (Lola in Gold), die beste Regie, das beste Drehbuch (Fingscheidt), die beste weibliche Hauptrolle (die 11-jährige Helena Zengel), die beste weibliche Nebenrolle), die beste männliche Hauptrolle (Albrecht Schuch), den besten Schnitt (Stephan Bechinger, Julia Kovalenko) und die beste Tongestaltung. Burhan Qurbanis freie Döblin-Adaption »Berlin Alexan­derplatz« war sogar elf Mal nominiert und gewann immerhin fünf Preise: für die beste männliche Nebenrolle (Albrecht Schuch), die beste Kamera (Yoshi Heimrath, der seine Freude mit Technomusik unterlegte), beste Musik (Dascha Dauenhauer), bestes Szenebild (Silke Buhr) und die Lola in Silber für den besten deutschen Film. Die Lola in Bronze für den besten deutschen Film gewann İlker Çataks »Es gilt das gesprochene Wort«. 

An den drei Filmen, die die Lolas für den besten Film bekommen haben, lässt sich nicht rütteln, sie sind grandios, durchaus richtige Entscheidungen der Mitglieder der Akademie, die per Abstimmung die Preisträger ermitteln. Für »Systemsprenger« als besten deutschen Film des letzten Jahres entschieden sich auch die Leserinnen und Leser von epd Film. Aber die Bandbreite des deutschen Films bilden die Produktionen nicht ab – zur Repräsentation taugt diese Veranstaltung eigentlich nicht. Denn Vielfalt – um nicht gar Diversität zu sagen – sieht anders aus. Ein Rechenbeispiel: In 55 Kategorien sind Nominierungen möglich. Um die Nominierungen bewarben sich nur 20 Filme. Nimmt man die Sonderkategorien Kinder- und Jugendfilm (hier gewann »Als Hitler das rosa Kaninchen stahl«) und Dokumentarfilm (»Born in Evin«) heraus, heißt es sogar 50 zu 15. Mehr als drei mögliche Nominierungen pro Film. Und viele inte­ressante Filme haben es aus der Vorauswahl nicht unter die Nominierten geschafft: Bernd Boehlichs »Und der Zukunft zugewandt«, »Das Vorspiel«, der großartige »Frau Stern« oder Angela Schanelecs ultraspröder »Ich war zuhause, aber . . .«

Der Deutsche Filmpreis ist Deutschlands höchstdotierter Kunstpreis, mit knapp drei Millionen Euro. Immer wieder kam der Vorschlag auf, die Preise von der Akademie zu trennen. Dafür machte sich auch Michael Herbig in einem Interview mit dem Branchenblatt »Blickpunkt:Film« stark. Und Bully, der vor zwei Jahren aus der Akademie ausgetreten ist, sagte auch, »dass sich nur ein Bruchteil der Wahlberechtigten alle Filme komplett anschaut«.

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