Interview mit Benoit Delépine & Gustave Kervern über ihren Film »Saint Amour«

»Saint Amour« (2016). © Concorde Filmverleih

»Saint Amour« (2016). © Concorde Filmverleih

Monsieur Delépine, Monsieur Kervern, Road Movies sind auch immer Filme des Suchens, mit unerwarteten Begegnungen und Überraschungen. Wie haben Sie das bei den Dreharbeiten zu »Saint Amour« umgesetzt? Haben Sie etwa die Reise vorher selber gemacht, um die Locations zu begutachten?

Delépine: Wir haben ja schon ein paar Road Movies zuvor gemacht. Bei unserem ersten, »Aaltra«, sind wir eher blind von Land zu Land gefahren. Das hat sich inzwischen verändert. Hier haben wir zunächst die Drehorte ausgesucht, wir hatten ein komplettes Drehbuch geschrieben und wussten auch, wer unsere Darsteller sein würden. Die einzige Szene, die absolut nicht vorbereitet war, war diejenige, in der die zehn Stadien der Trunkenheit ausprobiert werden. Da war nur klar, dass Gustave und Benoit Poelvoorde am Anfang nüchtern und am Ende total betrunken sein sollten. Aber ganze Szenen dazwischen, wie die Prügelei, entstanden erst vor Ort - die Jungs waren einfach da.

Wie arbeiten Sie mit den Schauspielern? Gérard Depardieu und auch Benoit Poelvoorde stehen ja nicht zum ersten Mal bei Ihnen vor der Kamera.

Kervern: Zuvor hatten wir mit beiden getrennt gedreht. Sie jetzt zusammen in einem Film zu haben, war schon so etwas wie ein doppelter Vulkan. Sie waren auch nur sehr schwer zum Arbeiten zu bekommen, Aber wir kannten sie ja und wir wussten, wenn sie denn einmal arbeiten, kommt auch etwas Gutes dabei heraus. Da ist es nur einfach wichtig, ruhig zu bleiben. Dann geben sie Dir auch in ein bis zwei Takes alles, was Du haben willst – und das ist großartig. Jüngere Regisseure wären da wohl sehr beunruhigt gewesen, aber da wir sie kennen, wussten wir, irgendwann am Tag kommt dieser Moment, wo sie soweit sind, dann machen sie superschöne Sachen – das Wichtigste ist, die Ruhe zu bewahren.

Wie unterschiedlich sind die beiden, auch, wenn es darum geht, sich an den Text zu halten?

Delépine: Die beiden haben schon eine sehr unterschiedliche Art und Weise, das Schauspielerische anzugehen. Gérard ist jemand, der alles im Moment macht: sobald die Kamera läuft, ist er wahnsinnig konzentriert und gibt der Figur genau die Emotion und die Richtigkeit und die Genauigkeit, die sie verlangt. Aber bevor die Kamera eingeschaltet wird, macht er die blödesten Witze und versucht, alle aus der Fassung zu bringen – dafür ist ihm kein Witz zu blöd. Er ist keiner, der irgendetwas vorbereiten kann, er muss es alles im Moment spielen. Benoit Poelvoorde dagegen steckt ganz in der Rolle drin, dass man wirklich – und zwar während der gesamten Dreharbeiten - glaubt, er ist so ein Bauer, der Zeit seines Lebens nichts anderes gemacht hat als Kühe zu versorgen. Er kennt eigentlich auch seinen Text, aber er verändert ihn ständig: er sagt ihn niemals in derselben Reihenfolge, er fügt Dinge hinzu oder auch nicht. Ihm ist das noch nicht einmal bewusst, er steckt so tief in seiner Rolle, dass er noch nicht einmal bemerkt, wenn er irgendwelche Änderungen vornimmt.

Schon in »Valley of Love« hatte Depardieu keine Probleme damit, seinen massigen Körper auch nackt vor der Kamera zu zeigen. Ist das etwas, zu dem man ihn erst bringen muss, um das zu machen oder ist das inzwischen eher etwas wie sein Markenzeichen?

Kervern: Er hat damit kein wirkliches Problem, er steht jetzt dazu. Sobald er der Auffassung ist, dass das berechtigt ist oder etwas Komisches hat, dass es den Film bereichert, macht er es. Poelvoorde ist allerdings auch jemand, der keine Angst hat, so etwas zu spielen.
Delépine: Da ist für beide einfach nur wichtig, dass sie dem Regisseur vertrauen können. Um ein Beispiel zu geben: wenn Benoit in dem Hochzeitskleid auftritt und ihm klar wird, dass es eigentlich viel zu klein ist und dass da alles nicht passt, hätten andere Schauspieler vielleicht versucht, das zu verdecken – er dagegen hat den ganzen Tag damit durchgespielt. Beide sind sehr extreme Schauspieler, die bestimmt, ohne dass man darüber mit ihnen geredet hat, der Meinung sind, dass die Welt ein wenig zu weich, zu angepasst ist. Sie spielen gerne extreme Sachen und verkörpern damit etwas, was heute in der Filmwelt sehr selten geworden ist.

Wie arbeiten Sie beide selber am Set zusammen? Sprechen Sie Sich vorher ab, wer was macht? Gibt es Meinungsverschiedenheiten? Ziehen Sie Sich dann zurück oder tragen Sie die öffentlich aus?

Kervern: Wir haben den großen Vorteil, dass wir auch die Drehbuchautoren sind, d.h., wir kennen unseren Film schon auswendig, wenn wir mit den Dreharbeiten beginnen. Ein Vorteil, wenn man zu zweit ist, dass man die Gewissheit hat, es zu schaffen. Man fühlt sich stark, selbst wenn man mit Schauspielern dreht, die ein wenig unvorsehbar sind, selbst, wenn man einen Drehplan hat, den man unmöglich schaffen kann. Was problematisch sein kann, ist der Alkoholkonsum beim Dreh, aber bei diesem Film haben wir nichts getrunken. Es gab keinen Alkohol bei der Weinprobe – auch Depardieu hat keinen getrunken.

Für mich hatten Ihre Filme immer etwas sehr Belgisches, es sind aber keine rein belgischen Filme. Sehen Sie Sich trotzdem in der belgischen Tradition eines etwas schrägeren Humors?

Delépine: Na ja, wir haben uns ja ein Land ausgedacht, Groland, ein imaginäres Land, in dem unsere Sketche spielen, das machen wir seit 22 Jahren, aber das Land, was unserem imaginären Land am nächsten kommt, ist schon Belgien, unseren ersten Film »Aaltra« haben wir ja auch unter belgischer Flagge gedreht – wir nehmen es also als Kompliment, wenn jemand uns als Belgier bezeichnet.

Was braucht man, um Michel Houellebecq vor die Kamera zu bekommen? Nur eine originelle Rolle?

Kervern: Wir hatten eine sehr gute Flasche Wein. (beide lachen)

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt