Kritik zu Zwischen uns das Paradies

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Beziehungskrisen und fundamentalistische Verlockungen in Sarajevo: Jasmila Žbanić, die mit ihrem Film »Esmas Geheimnis – Grbavica« 2006 den Goldenen Bären der Berlinale gewinnen konnte, stellt ihren zweiten Spielfilm vor

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Zuerst denkt man: Das wird etwas Experimentelles, etwas sehr Subjektives aus der Frauenperspektive. Da betrachtet sich die hübsche Luna (Zrinka Cvitesic) im Spiegel und macht Handyfotos von ihrem nackten Bauch. Eine lange, meditative Einstellung zu treibenden Hip-Hop-Rhythmen. Ein paar Minuten später, wenn sich Amar (Leon Lucev) in einer Kneipe zu quirliger Balkanblasmusik heftig betrinkt, denkt man: Vielleicht wird der Film so eine Art Kusturica-Exzess? Wieder falsch. Der zweite Spielfilm von Jasmila Žbanić offenbart sich weder als Experiment noch als Exzess, sondern als oberflächliche und brave, irgendwie politisch korrekte Paarbeziehungs-Abhandlung, die es nicht wagt, ihr eigentlich brisantes Thema richtig anzugehen.

Thema: das Erschrecken der jungen Frau davor, wie sich der geliebte Mann in einen religiösen Hardcorefundamentalisten verwandelt. Luna ist Stewardess, Amar Fluglotse. Die beiden lieben sich, bewohnen eine nette Dachwohnung in Sarajevo, gehen zärtlich und in unbefangener Intimität miteinander um: im Alltag, in der Disco, beim Sex unter der Dusche. Dann wirft es Amar aus der Bahn, als er unter Alkoholeinfluss im Tower einen Fehler macht und für ein halbes Jahr vom Dienst suspendiert wird.

Er begegnet einem ehemaligen Kriegskameraden, der in seiner Postbürgerkriegssinnkrise bei der islamisch-fundamentalistischen Wahhabiten-Sekte Zuflucht und Orientierung fand, und lässt sich nun auf denselben Pfad verlocken. Luna will das als persönliche Sinn- und Selbstsuche Amars verstehen, sie bemüht sich redlich, wenn sie ihm in ein Wahhabiten-Feriencamp folgt, aber am Ende wird ihr all das fromme Regelwerk (von den orthodoxen Reinlichkeitsregeln im Alltag über die Körperverhüllung bis zum Beischlaf erst nach religiöser Trauung), dem sie sich fügen soll, einfach zu viel. Sie besteht auf ihrem bisherigen Lebensstil.

Die Regisseurin weicht der zentralen Auseinandersetzung auf merkwürdig defensive Weise aus, belässt es bei Andeutungen. Was fasziniert Amar am Sektenleben? Eine liebende Frau würde mit ihrem ganzen Denken und Empfinden dieser Frage nachgehen. Aber Amars Wandlung wird mehr behauptet als durchfühlt und befragt. Am Ende zeigt Amar die typischen Fundamentalistenverbohrtheiten: die bequeme Weltsicht nach dem Freund-Feind-Schema, die verhängnisvolle Selbstermächtigung zur Rundum-Verurteilung der »Ungläubigen«, die magische Identifikation mit den priesterlich-hierarchisch vermittelten Direktiven »frommer« Lebensführung. Nichts davon kommt diskursiv zur Sprache, zur Verhandlung, zur Durcharbeitung, oder auch nur zur psychologisch einsichtigen Darstellung.

Auch Lunas innerer Prozess bleibt im Verschwommenen. Es scheint, als hielte sie nur aus Gewohnheit an ihrem »westlich-liberalen« Lebensstil fest. Der Film findet keine überzeugenden Argumente oder Bilder für ihr Bestehen auf individueller Freiheit und selbstbestimmter Körperlichkeit. So verspielt Jasmila Žbanić das höchst spannende Thema, und so kommt es, dass man ihren Figuren die Anteilnahme verweigert.

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